Gute Arbeit!

Sarah Seeliger und Julius Bertram, Librileo gUG, Berlin

„Wenn wir nicht mehr gelesen werden, sind wir tot.“

    Sarah Seeliger und Julius Bertram, Librileo gUG, Berlin

„Wenn wir nicht mehr gelesen werden, sind wir tot.“
Librileo rettet die Kinderbuchhelden

    Sarah Seeliger und Julius Bertram gründen zusammen in Serie. In den vergangenen sechs Jahren haben sie drei Start-ups zum Laufen gebracht und drei Kinder bekommen. Die Leidenschaft für ihr jüngstes Projekt Librileo gemeinnützig sowie die Liebe zur selbstbestimmten und freien Arbeit eint sie. Die beiden sprudeln nur so vor Ideen und alles scheint ständig in Bewegung.

Mitten in einer großen Altbauwohnung in Berlin Charlottenburg steht ein riesiger Tisch mit massiven geölten Holzplanken. Bestimmt 15 Leute können hier sitzen. Dieser Tisch ist die Drehscheibe in Sarahs und Julius Universum. In den Räumen davor arbeiten sie und ihre Mitarbeiter für Librileo und Librileo gemeinnützig, in den Zimmern dahinter wohnen sie mit ihren Kindern. In der Mitte steht der Tisch, an dem gearbeitet, gegessen und gelacht wird.

Dass Wohnen und Arbeiten hier so nah beieinander liegen, scheint ganz natürlich. Sarah und Julius arbeiten zusammen, gründen zusammen und haben zusammen drei Kinder. Als Sarah studiert hat, hat sie sich tagsüber um die Kinder gekümmert, abends war Julius dran.


Auf die Frage, ob sich die beiden nicht manchmal fürchterlich auf die Nerven gehen, antworten sie einhellig mit „Nein“. Jeder kenne die Macken des anderen und könne wunderbar mit ihnen umgehen. Das Geheimnis: Ihre Arbeitsbereiche sind so klar voneinander getrennt, dass sie sich nicht in die Quere kommen. Für Sarah ist „… mit Julius zusammen“ Teil der idealen Arbeit: zusammen freuen, wenn wieder etwas klappt, wie zuletzt die langfristige Förderung durch Auridis, und zusammen weiterdenken zum Beispiel abends bei einem Glas Wein.

„Seitdem wir zusammen sind, ging es echt schnell.“

Den beiden liegt das Gründen im Blut. Sarah war als Make-up-Artistin selbstständig und hat „Unternehmensgründung und Unternehmensnachfolge“ studiert. Julius hat im Studium mit dem gelben Hocker das erste Mal gegründet und gegen Geld im Zug andere Leute auf sein Wochenendticket mitgenommen.
Ihr erstes gemeinsames großes Ding war Njunju, das eine Weile unter dem Namen Kirondo lief und inzwischen vom internationalen Wettbewerber Percentil aufgekauft wurde. Jeder kann gebrauchte Kinderkleidung einschicken. Njunju bewertet und verkauft sie, ohne dass man sich weiter darum kümmern muss.


Als Sarah und Julius eine Finanzierung suchten, hatten sie schnell drei Angebote auf dem Tisch. Die Zusammenarbeit mit dem Investor Team Europe war allerdings schnell wieder beendet und damit auch ihre Arbeit für Kirondo. Die Gründe sind vielfältig, Sarah und Julius haben sich nach dem Ausstieg vorgenommen, erstens wieder zu gründen und zweitens dieses Mal zu bootstrappen, also ohne externes Kapital zu starten. Das heißt langsam wachsen, geduldig sein und dafür der eigene Chef bleiben. Etwas Neues musste her, wo all die Erfahrungen aus der ersten Gründung einfließen können. Im Familienurlaub kam die zündende Idee: Bücherboxen für Kinder. Gerade berufstätige Eltern haben oft zu wenig Zeit, in Ruhe neue Kinderbücher auszusuchen. Das war die Geburtsstunde von Librileo.

„Wir sind halt keine Leute, die gerne fragen.“

Am liebsten arbeiten die beiden, wenn sie die Freiheit haben, zu tun und zu lassen, was sie wollen. Sie möchten sich aussuchen, mit wem sie arbeiten und kooperieren. Die Gemeinnützigkeit kam beinahe von selbst ins Boot. Statt Business Angels setzten sie diesmal darauf, eine gemeinnützige Unternehmergesellschaft zu gründen, Stiftungsgelder einwerben zu können. Gemeinnützig heißt, dass der Zweck der Unternehmung dem Gemeinwohl dient, wie etwa der Bildung, der Kunst oder der Kultur, und aus diesem Grund Steuervergünstigungen unterliegt. Unternehmergesellschaften sind vergleichbar mit der GmbH, also haftungsbeschränkt, können allerdings mit geringem Kapitaleinsatz gegründet werden.

Heute gibt es Librileo als Startup der Julius Bertram UG und Librileo gemeinnützig als Librileo gemeinnützige UG parallel. Bei Librileo können Eltern nach wie vor ein Bücherbox-Abonnement mit drei Büchern bestellen, die jeden Monat nach Hause kommt. Bei Librileo gemeinnützig erhalten Kinder, deren Eltern in finanziellen Schwierigkeiten stecken, über den Bildungs- und Teilhabegutschein alle drei Monate kostenlos eine Bücherbox mit einem Spiel, einem Kinderbuch und einem Ratgeber – immer natürlich der Altersgruppe des Kindes entsprechend. Gemeinsam ist den beiden Boxen, dass sie ein Thema haben wie beispielsweise Schlafen, Gegensätze oder Zahlen. Ein entscheidendes Erlebnis auf dem Weg zur Gemeinnützigkeit war es für Sarah und Julius, als ein Fernsehstar beim bundesweiten Vorlesetages rund 300 Besuchern im Planetarium am Insulaner vorgelesen hat, dazu gab es Donuts – alles natürlich kostenlos. Bei dem Event waren vor allem die Kinder, deren Eltern das Geld haben, ihnen Bücher zu kaufen, und die das Lesen fördern.


Aber wie erreicht man die Kinder, die diese Möglichkeiten nicht haben, bei denen zu Hause nicht vorgelesen wird? Da kam die Idee der kostenlosen Bücherboxen von Librileo gemeinnützig gerade richtig. Jetzt müssen nur noch mehr Kinder erreicht werden: Um auf Librielo gemeinnützig aufmerksam zu machen, haben sie zum Beispiel in der ganzen Stadt mit riesigen selbst ausgeschnittenen Schablonen Figuren aus Kinderbüchern auf den Boden gemalt. Das Motto war: „Wenn wir nicht mehr gelesen werden, sind wir tot.“ Bei der Aktion „Bildungsarmut braucht kein Mensch“ haben sie Bücher an Bushaltestellen aufgehängt.
Woher kommt die Energie? Julius Antrieb sind diese alltäglichen Situationen, in denen er sich fragt: Warum hat dafür noch keiner eine Lösung gefunden? Da kommt er auch gut und gerne mit fünf bis sechs Stunden Schlaf aus.
Librileo gemeinnützig scheint wie ein Traum: „Wir stehen morgens auf, völlig selbstbestimmt und verdienen Geld damit, dass wir etwas Gutes tun.“

„Irgendwie bestand immer nur alles aus Pokern und jetzt hat es sich ausgezahlt.“

Ganz so rosig war der Weg bis hierhin natürlich nicht immer. Librileo haben Sarah und Julius zunächst ohne Finanzierung hochgezogen. Das heißt auch, dass sie phasenweise am Existenzminimum gelebt haben. Hilfreiche Hände gab es immer. Mal durften sie in einem Büro von Freunden einen Raum für Librileo kostenlos nutzen, mal kamen die Großeltern mit Herbstschuhen für die Kinder vorbei. Erst seit Mai 2016 ist klar, dass sie mit der Stiftung Auridis eine langfristige Förderung für die gemeinnützigen Bücherboxen haben.

Doch auch, als mit der Finanzierung alles in trockenen Tüchern schien, kam es noch einmal heftig für die beiden. Sarah und Julius hatten den Traum, eine Wohnung oder ein Haus zu finden, in dem sie Büro und Familienwohnung an einem Ort unterbringen können. In Berlin schon kein leichtes Unterfangen, doch sie wurden fündig. Die alte Wohnung war gekündigt, alle Kisten gepackt, eine Neue in Aussicht – und zwei Wochen vor dem Umzugstermin platzte der Mietvertrag. Bis heute ist nicht klar, warum. Die kalte Existenzangst hat sie erwischt. In zwei Wochen mussten sie aus der Alten raus, wo sollte man auf die Schnelle eine Neue finden? Am Ende mit zwei Kindern und dem Dritten auf dem Weg auf der Straße oder einen unbefriedigenden Kompromiss eingehen? Nun sind Sarah und Julius keine Menschen, die sich ins Bett legen und die Decke über den Kopf ziehen. Sie schrieben mehr Leute an, besichtigten mehr Wohnungen und fanden am Ende doch eine große Wohnung, die Platz für die Familie und die beiden Librileos hat.

„Ich arbeite gerne, um nicht auf der Stelle zu stehen, um nicht tagein tagaus dasselbe zu tun.“

Manchmal hat man den Eindruck, die beiden brausen mit 200 Sachen über die Autobahn. Tatsächlich hat Sarah kurz vor der Geburt ihres jüngsten Kindes kräftig auf die Bremse getreten, zumindest für sich. Sie hatte Angst davor, einfach weiter zu machen, die Zeit mit dem Baby zu verpassen und hinterher in ein Loch zu fallen. Also entschied sie, für vier Wochen nicht zu arbeiten: kein Handy, kein Computer. Noch nie zuvor hat sie für so eine lange Zeit nicht gearbeitet.

Sie genießt ihre Auszeit sehr, doch selbst wenn sie ihren großen Traum erreicht hätte und wirtschaftlich unabhängig in Australien am Strand leben würde: Sie würde arbeiten wollen, rausgehen, Neues lernen, sich weiter entwickeln – bloß nicht stehen bleiben oder lethargisch werden.

Während Sarah das Fernziel Australien klar vor Augen hat, beschäftigt sich Julius lieber mit den nächsten drei bis fünf Jahren. Gemeinsam ist ihnen, dass sie so viel Geld verdienen möchten, dass sie sich ihre Freiheit kaufen können.
Wer nun denkt, mit Njunju, Librileo und Librileo gemeinnützig wäre es das gewesen: Das nächste Projekt „Spatz und Fuchs“ hat schon begonnen. Zu diesen Netzwerktreffen bekochen sie sechs Gäste und verbringen an dem großen Tisch in ihrer Bürowohnung einen netten Abend mit ihnen. Da kommt der Gedanke ganz von selbst, dass auf ihrer Rennstrecke noch die eine oder andere spannende, gemeinsame Gründung ansteht.

Text: Cornelia Altenburg