Gute Arbeit!

Maximilian Krieger, Riedenburger Brauhaus, Riedenburg

„Das steht mal fest.“

    Maximilian Krieger, Riedenburger Brauhaus, Riedenburg

„Das steht mal fest.“

    „Ganzheitlich? Ach bestimmt. Ja. Ganzheitlich und nachhaltig, diese Begriffe beschreiben natürlich sehr gut was wir hier machen. Meine Eltern haben die auch wirklich viel verwendet, viel mehr als ich das heute tue.“ Maximilian Krieger schaut entspannt aus dem Fenster heraus. Er ist ja genau hier mit dem Bierbrauen aufgewachsen und nun, seit 3 Jahren, führt er das Riedenburger Brauhaus – und zwar in der 8. Generation. Schon 1989 hat seine Familie damit begonnen, den Betrieb auf eine ökologische Produktionsweise umzustellen und seit 1994 braut sie alle Riedenburger Biere in Bioqualität. Zu 100%.

Die „öko-sozial nachhaltige Unternehmensphilosophie“ und das „ganzheitliche Ökokonzept“, auf das seine Eltern damals in tiefer Überzeugung als erste bayerische Brauerei mit aller Konsequenz umgestellt haben, sind für Krieger heute ganz schlicht „die Basis unseres Tuns, einfach das Handwerkszeug, mit dem wir Bier brauen und das Unternehmen führen.“ Er hat diese Ziele und Werte schon als Kind verinnerlicht, ist sozusagen in sie hineingewachsen: „Die ökologische Brauweise nimmt Rücksicht. Wir schauen nicht nur aufs Wirtschaftliche, wir wollen auch die Umwelt, die regionalen Strukturen mitnehmen und positiv beeinflussen. Man muss sich fragen: Wie schaut es aus, wenn ich mit meinem Handeln fertig bin.“

„Charakter bekommt das Bier, wenn es eine Handschrift trägt.“

„Auf dieser Grundlage wollen wir uns entwickeln“, beginnt Krieger mit seiner Führung durch die Brauerei, „jedes Produkt soll seinen eigenen Charakter haben. Wir brauen handwerklich und als Handwerker, als Brauer haben wir natürlich eine eigene Vision, eigene Ideen, unsere Leidenschaft für das Besondere, das Abweichen vom Mainstream, das ist bei uns sehr ausgeprägt.“

Diesen Anspruch möchte Krieger in allen Unternehmensbereichen umgesetzt wissen. „Ein Bier darf nicht banal sein. Damit es als Ganzes gelingt, braucht man eine klare Vorstellung und ein gewisses Durchhaltevermögen. Man muss an seinem Weg festhalten.“

„Discounter lehnen wir als Kunden ab.“

„Um ein gutes Bier zu brauen, braucht man in erster Linie Zeit. Das Bier braucht die Zeit zum gären, es braucht Fingerspitzengefühl, die richtige Temperatur, es braucht auch Zeit zum lagern, damit sich der Geschmack entwickeln kann.“ Krieger hat sich nicht nur betriebswirtschaftlich ausbilden lassen, er hat auch weltweit Bier studiert, Braumethoden, hat die Region verlassen, um seine Kenntnisse und Fähigkeiten für den heimischen Betrieb auszubauen.


Er hat die Braumeisterschule besucht. Er weiss genau, was für ihn neben der Qualität der Zutaten den entscheidenden Unterschied ausmacht: „Die einzelnen Arbeits-schritte benötigen Inspiration und Sorgfalt. Nicht möglichst schnell, nicht möglichst einfach“ soll das Bier entstehen, sondern so, „dass es eben richtig ist und am besten für das Produkt.“ Hierin liegt für ihn auch der wichtigste Unterschied seines handwerklich gebrauten Biers zum Industriebier. „Das muss vor allem effizient hergestellt werden. Man muss Zeit und Geld sparen. Bier, so wie wir es machen, ist ein Lebensmittel. Wertvoll. Wir verkaufen es überregional fast nur im Biohandel. Discounter lehnen wir als Kunden ab. Da fehlt uns die Wertschätzung.“

„Ich bin zufrieden, ja.“

Das erste Bier, das Maximilian Krieger in Riedenburg ganz nach seinen eigenen Vorstellungen entwickelt und verantwortet hat, ist der Dolden Sud. Der ist „mit relativ viel Hopfen gebraut, aber wir verwenden eben auch Emmer-Malz dazu, deswegen ist er besser ausbalanciert als viele andere IPA’s, nicht so bitter. Das Bier ist harmonisch“, erzählt er mit sichtbarer Freude, „es hat ein schönes Aroma, fruchtig, nach Hopfen, aber nicht zu extrem – es ist ein Bier, das man ganz gut einmal trinken kann. Da haben wir schon einen komplett anderen Bierstil hergestellt, als er bis dahin hier bei uns und in Deutschland verfügbar war.“

„Entscheidungen müssen getroffen werden.“

Maximilian Krieger schaut nachdenklich umher. „Leider gibt es nicht immer die Zeit für kreative Dinge, für Selbstverwirklichung. Unser Denken, unsere Arbeit,“ führt er aus, „ist ja nicht projektbezogen. Wir sind ein Unternehmen, der Betrieb muss täglich weitergehen. Da hat man auch mal den Zwang, dass Sachen getan, Entscheidungen getroffen werden müssen. Die Option sie liegen zu lassen, gibt es nicht, das steht mal fest.“


Verwaltung, Bürokratie, man muss auch, das ist in der Familie gelernt worden, „immer schauen, wie sich der Betrieb entwickelt. Natürlich kann man dann durch seine Entscheidungen auch mal wichtige Weichen stellen und bestimmten Abläufen seine ganz eigene Handschrift geben.“ Das kann, wenn man es so sehen möchte, durchaus Selbstverwirklichung bedeuten, eine Selbstverwirklichung, die sich am Gesamten orientiert und es dadurch wiederum prägen kann.

„Da hängt noch viel mehr dran.“

„Was wir hier machen, ist ja Bier,“ lächelt Krieger nun wissend und lässt das Gesagte einen Moment lang wirken. „ Unser Ziel dabei ist es aber auch, dass wir viel von der Wert-schöpfung bei uns in der Region behalten, dass wir hier etwas Sinnvolles etablieren und für die Zukunft gestalten können. „Bier ist ein gesellschaftlich gut verwurzeltes Produkt. Das wir es mit dem Bier schaffen können, unseren Betrieb mit all seinen Mitarbeitern, mit den Partnern, Kunden und Lieferanten hier in der Region weiterzuführen, für uns alle etwas Bleibendes aufzubauen, und das jetzt, in der 8. Generation, wieder neu weiterzuentwickeln, das stellt für mich auch schon ein Unternehmensziel, einen Wert an sich dar.

Das Bier muss nicht nur schmecken, es gibt auch sehr viele Faktoren, die bei der Herstellung von Bier wichtig sind und zum Ganzen beitragen. Das alles gehört dann natürlich auch mit in die Flasche hinein, im Endeffekt. Das Bier muss einen Fussabdruck haben – einen positiven.“

„Die Kinder sind einfach hier.“

Es ist eine ganz besondere Art von Ruhe, die in Kriegers Zielstrebigkeit liegt. Sein Handeln, so wie er es darstellt, wirkt getragen und zwar sowohl von der Vergangenheit, dem Erreichten, der familiären Tradition, als auch von seinen eigenen Ideen und Zielen, seiner eigenen Vision von Zukunft: „Meine Hoffnung ist, dass der Stellenwert von Bier sich in der Gesellschaft weiter verbessert. Was sich in den letzten Jahren getan hat, ist schon ein sehr gutes Zeichen,“ findet er, „weil dem Bier, besonders dem handwerklich Gebrauten, viel mehr Wertschätzung entgegen gebracht wird.“ Dahin wird es sich künftig noch mehr entwickeln, das findet Krieger folgerichtig.

Mit ganz selbstverständlicher Zuversicht wagt er noch einen anderen Blick in die Zukunft: „Meine Kinder wachsen schon mit dem auf, was hier gemacht wird. Wenn wir am Bier riechen, es probieren, dann wollen die das auch. Die Kinder sind einfach hier, weil wir hier arbeiten, sie sind im Biergarten unterwegs, malen, spielen, fahren mit dem Rad über den Hof, die beschäftigen sich. Also,“ lacht er, „meine Familie wächst schon heran und dann geht es wieder weiter – in die 9. Generation.“ SJ

Sarah Seeliger und Julius Bertram, Librileo gUG, Berlin

„Wenn wir nicht mehr gelesen werden, sind wir tot.“

    Sarah Seeliger und Julius Bertram, Librileo gUG, Berlin

„Wenn wir nicht mehr gelesen werden, sind wir tot.“
Librileo rettet die Kinderbuchhelden

    Sarah Seeliger und Julius Bertram gründen zusammen in Serie. In den vergangenen sechs Jahren haben sie drei Start-ups zum Laufen gebracht und drei Kinder bekommen. Die Leidenschaft für ihr jüngstes Projekt Librileo gemeinnützig sowie die Liebe zur selbstbestimmten und freien Arbeit eint sie. Die beiden sprudeln nur so vor Ideen und alles scheint ständig in Bewegung.

Mitten in einer großen Altbauwohnung in Berlin Charlottenburg steht ein riesiger Tisch mit massiven geölten Holzplanken. Bestimmt 15 Leute können hier sitzen. Dieser Tisch ist die Drehscheibe in Sarahs und Julius Universum. In den Räumen davor arbeiten sie und ihre Mitarbeiter für Librileo und Librileo gemeinnützig, in den Zimmern dahinter wohnen sie mit ihren Kindern. In der Mitte steht der Tisch, an dem gearbeitet, gegessen und gelacht wird.

Dass Wohnen und Arbeiten hier so nah beieinander liegen, scheint ganz natürlich. Sarah und Julius arbeiten zusammen, gründen zusammen und haben zusammen drei Kinder. Als Sarah studiert hat, hat sie sich tagsüber um die Kinder gekümmert, abends war Julius dran.


Auf die Frage, ob sich die beiden nicht manchmal fürchterlich auf die Nerven gehen, antworten sie einhellig mit „Nein“. Jeder kenne die Macken des anderen und könne wunderbar mit ihnen umgehen. Das Geheimnis: Ihre Arbeitsbereiche sind so klar voneinander getrennt, dass sie sich nicht in die Quere kommen. Für Sarah ist „… mit Julius zusammen“ Teil der idealen Arbeit: zusammen freuen, wenn wieder etwas klappt, wie zuletzt die langfristige Förderung durch Auridis, und zusammen weiterdenken zum Beispiel abends bei einem Glas Wein.

„Seitdem wir zusammen sind, ging es echt schnell.“

Den beiden liegt das Gründen im Blut. Sarah war als Make-up-Artistin selbstständig und hat „Unternehmensgründung und Unternehmensnachfolge“ studiert. Julius hat im Studium mit dem gelben Hocker das erste Mal gegründet und gegen Geld im Zug andere Leute auf sein Wochenendticket mitgenommen.
Ihr erstes gemeinsames großes Ding war Njunju, das eine Weile unter dem Namen Kirondo lief und inzwischen vom internationalen Wettbewerber Percentil aufgekauft wurde. Jeder kann gebrauchte Kinderkleidung einschicken. Njunju bewertet und verkauft sie, ohne dass man sich weiter darum kümmern muss.


Als Sarah und Julius eine Finanzierung suchten, hatten sie schnell drei Angebote auf dem Tisch. Die Zusammenarbeit mit dem Investor Team Europe war allerdings schnell wieder beendet und damit auch ihre Arbeit für Kirondo. Die Gründe sind vielfältig, Sarah und Julius haben sich nach dem Ausstieg vorgenommen, erstens wieder zu gründen und zweitens dieses Mal zu bootstrappen, also ohne externes Kapital zu starten. Das heißt langsam wachsen, geduldig sein und dafür der eigene Chef bleiben. Etwas Neues musste her, wo all die Erfahrungen aus der ersten Gründung einfließen können. Im Familienurlaub kam die zündende Idee: Bücherboxen für Kinder. Gerade berufstätige Eltern haben oft zu wenig Zeit, in Ruhe neue Kinderbücher auszusuchen. Das war die Geburtsstunde von Librileo.

„Wir sind halt keine Leute, die gerne fragen.“

Am liebsten arbeiten die beiden, wenn sie die Freiheit haben, zu tun und zu lassen, was sie wollen. Sie möchten sich aussuchen, mit wem sie arbeiten und kooperieren. Die Gemeinnützigkeit kam beinahe von selbst ins Boot. Statt Business Angels setzten sie diesmal darauf, eine gemeinnützige Unternehmergesellschaft zu gründen, Stiftungsgelder einwerben zu können. Gemeinnützig heißt, dass der Zweck der Unternehmung dem Gemeinwohl dient, wie etwa der Bildung, der Kunst oder der Kultur, und aus diesem Grund Steuervergünstigungen unterliegt. Unternehmergesellschaften sind vergleichbar mit der GmbH, also haftungsbeschränkt, können allerdings mit geringem Kapitaleinsatz gegründet werden.

Heute gibt es Librileo als Startup der Julius Bertram UG und Librileo gemeinnützig als Librileo gemeinnützige UG parallel. Bei Librileo können Eltern nach wie vor ein Bücherbox-Abonnement mit drei Büchern bestellen, die jeden Monat nach Hause kommt. Bei Librileo gemeinnützig erhalten Kinder, deren Eltern in finanziellen Schwierigkeiten stecken, über den Bildungs- und Teilhabegutschein alle drei Monate kostenlos eine Bücherbox mit einem Spiel, einem Kinderbuch und einem Ratgeber – immer natürlich der Altersgruppe des Kindes entsprechend. Gemeinsam ist den beiden Boxen, dass sie ein Thema haben wie beispielsweise Schlafen, Gegensätze oder Zahlen. Ein entscheidendes Erlebnis auf dem Weg zur Gemeinnützigkeit war es für Sarah und Julius, als ein Fernsehstar beim bundesweiten Vorlesetages rund 300 Besuchern im Planetarium am Insulaner vorgelesen hat, dazu gab es Donuts – alles natürlich kostenlos. Bei dem Event waren vor allem die Kinder, deren Eltern das Geld haben, ihnen Bücher zu kaufen, und die das Lesen fördern.


Aber wie erreicht man die Kinder, die diese Möglichkeiten nicht haben, bei denen zu Hause nicht vorgelesen wird? Da kam die Idee der kostenlosen Bücherboxen von Librileo gemeinnützig gerade richtig. Jetzt müssen nur noch mehr Kinder erreicht werden: Um auf Librielo gemeinnützig aufmerksam zu machen, haben sie zum Beispiel in der ganzen Stadt mit riesigen selbst ausgeschnittenen Schablonen Figuren aus Kinderbüchern auf den Boden gemalt. Das Motto war: „Wenn wir nicht mehr gelesen werden, sind wir tot.“ Bei der Aktion „Bildungsarmut braucht kein Mensch“ haben sie Bücher an Bushaltestellen aufgehängt.
Woher kommt die Energie? Julius Antrieb sind diese alltäglichen Situationen, in denen er sich fragt: Warum hat dafür noch keiner eine Lösung gefunden? Da kommt er auch gut und gerne mit fünf bis sechs Stunden Schlaf aus.
Librileo gemeinnützig scheint wie ein Traum: „Wir stehen morgens auf, völlig selbstbestimmt und verdienen Geld damit, dass wir etwas Gutes tun.“

„Irgendwie bestand immer nur alles aus Pokern und jetzt hat es sich ausgezahlt.“

Ganz so rosig war der Weg bis hierhin natürlich nicht immer. Librileo haben Sarah und Julius zunächst ohne Finanzierung hochgezogen. Das heißt auch, dass sie phasenweise am Existenzminimum gelebt haben. Hilfreiche Hände gab es immer. Mal durften sie in einem Büro von Freunden einen Raum für Librileo kostenlos nutzen, mal kamen die Großeltern mit Herbstschuhen für die Kinder vorbei. Erst seit Mai 2016 ist klar, dass sie mit der Stiftung Auridis eine langfristige Förderung für die gemeinnützigen Bücherboxen haben.

Doch auch, als mit der Finanzierung alles in trockenen Tüchern schien, kam es noch einmal heftig für die beiden. Sarah und Julius hatten den Traum, eine Wohnung oder ein Haus zu finden, in dem sie Büro und Familienwohnung an einem Ort unterbringen können. In Berlin schon kein leichtes Unterfangen, doch sie wurden fündig. Die alte Wohnung war gekündigt, alle Kisten gepackt, eine Neue in Aussicht – und zwei Wochen vor dem Umzugstermin platzte der Mietvertrag. Bis heute ist nicht klar, warum. Die kalte Existenzangst hat sie erwischt. In zwei Wochen mussten sie aus der Alten raus, wo sollte man auf die Schnelle eine Neue finden? Am Ende mit zwei Kindern und dem Dritten auf dem Weg auf der Straße oder einen unbefriedigenden Kompromiss eingehen? Nun sind Sarah und Julius keine Menschen, die sich ins Bett legen und die Decke über den Kopf ziehen. Sie schrieben mehr Leute an, besichtigten mehr Wohnungen und fanden am Ende doch eine große Wohnung, die Platz für die Familie und die beiden Librileos hat.

„Ich arbeite gerne, um nicht auf der Stelle zu stehen, um nicht tagein tagaus dasselbe zu tun.“

Manchmal hat man den Eindruck, die beiden brausen mit 200 Sachen über die Autobahn. Tatsächlich hat Sarah kurz vor der Geburt ihres jüngsten Kindes kräftig auf die Bremse getreten, zumindest für sich. Sie hatte Angst davor, einfach weiter zu machen, die Zeit mit dem Baby zu verpassen und hinterher in ein Loch zu fallen. Also entschied sie, für vier Wochen nicht zu arbeiten: kein Handy, kein Computer. Noch nie zuvor hat sie für so eine lange Zeit nicht gearbeitet.

Sie genießt ihre Auszeit sehr, doch selbst wenn sie ihren großen Traum erreicht hätte und wirtschaftlich unabhängig in Australien am Strand leben würde: Sie würde arbeiten wollen, rausgehen, Neues lernen, sich weiter entwickeln – bloß nicht stehen bleiben oder lethargisch werden.

Während Sarah das Fernziel Australien klar vor Augen hat, beschäftigt sich Julius lieber mit den nächsten drei bis fünf Jahren. Gemeinsam ist ihnen, dass sie so viel Geld verdienen möchten, dass sie sich ihre Freiheit kaufen können.
Wer nun denkt, mit Njunju, Librileo und Librileo gemeinnützig wäre es das gewesen: Das nächste Projekt „Spatz und Fuchs“ hat schon begonnen. Zu diesen Netzwerktreffen bekochen sie sechs Gäste und verbringen an dem großen Tisch in ihrer Bürowohnung einen netten Abend mit ihnen. Da kommt der Gedanke ganz von selbst, dass auf ihrer Rennstrecke noch die eine oder andere spannende, gemeinsame Gründung ansteht.

Text: Cornelia Altenburg

Roger Bundschuh, Bundschuh Architekten, Berlin

„Es wird etwas Gebautes.“

    Roger Bundschuh, Bundschuh Architekten, Berlin

„Es wird etwas Gebautes.“

    Es ist hell, sehr schön hell bei Bundschuh Architekten. Tageslicht. Roger Bundschuh lächelt fein. „Ein ganz kleines Problem müssen wir noch lösen, dann geht es gleich los.“ Er flüstert fast, dreht sich um und ist weg. An mehreren Arbeitsplätzen in allen Winkeln des Erdgeschossbüros sitzen ziemlich konzentrierte junge Leute. Bundschuh läuft von einem zum anderen und erwägt verschiedene Vorgehensweisen. Dann entspannt sich seine Körpersprache und mit jugendlichem Schlaks kommt er zu uns an den Konferenztisch zurück. Wir wollen mit ihm über Arbeit sprechen, über seine Arbeit.

„Arbeit, Arbeit,…“ Bundschuh sucht nach ersten Worten. „Arbeit ist für mich ein so integraler Bestandteil meines Lebens, es fällt mir schwer, hier abzugrenzen. Was ist Arbeit, was ist Leben? Für mich ist die Arbeit das Leben!“ Gedanklich, beschreibt er, sei er eigentlich immer bei seinen Projekten. „Aber nur, weil ich es so will, weil es mir so viel Spass macht. Eigentlich bin ich immer am Arbeiten.“

„Ziemlich viel Glück und auch etwas Zufall.“

1996 kam Bundschuh als Architekt nach Berlin, seit gut 10 Jahren gibt es sein Büro in der heutigen Form. Bundschuh lehrt am Dessau Institute of Architecture und arbeitet sehr erfolgreich im Grenzbereich zwischen Kunst und Architektur. Eingeladen, für eine kleine Freifläche an der Torstrasse eigentlich nur eine Aussenskulptur zu entwerfen, wurde ihm 2006 ohne „entscheidendes eigenes Zutun“ die Chance eröffnet, statt dessen eine viel grössere Fläche zu beplanen, und zwar für ein Wohn- und Geschäftshaus, ein „Nischenprodukt im Immobilienmarkt“, wie er sagt, „Zielgruppe Kunstsammler“.

Es war ein viel beachteter Start: „Die relativ spezifische Form des Hauses hat im städtebaulichen Kontext eine gewisse Aufmerksamkeit erregt, durchaus kontrovers. Wir wurden nun als Architekturproduzenten wahrgenommen, das war sehr positiv“, berichtet er. „Das hat dann auch tatsächlich ganz direkt zu wirklichen Folgeaufträgen geführt. Seit dem sind wir hier am Rosa Luxemburg Platz, dieses Büro war unser Baubüro, wir sind einfach hier geblieben, wir lieben es hier.“

„Ich geniesse ein grosses Mass an Freiheit.“

Heute ist sein Arbeiten geprägt von einem spürbaren „Vertrauensvorschuss“ seiner Auftraggeber, erklärt er uns. „Die Bauherren fragen ein sehr spezifisches Produkt an, sie wollen eine Lösung, die eigens für sie erarbeitet ist, die aber gleichzeitig eine gewisse Handschrift hat. Diese Handschrift ist etwas, das nur durch Vertrauen und das Gewähren von Freiheit dann auch herzustellen ist.“

Bundschuh blinzelt ins Licht und reibt sich die Augen. „Und das Vertrauen ist etwas, das man sich immer wieder neu verdienen muss, wir müssen jedesmal beweisen, dass wir es verdient haben, dass man dieses Vertrauen in uns setzt – und zwar in allen Stufen des Planungsprozesses. Da kann es schwierige Probleme geben, es kann sehr viel schiefgehen.“

„Ein Grübler und Zweifler. Mit Begeisterung.“

Das frühzeitige Erspüren und vor allem das Bewältigen solcher Herausforderungen ist für Bundschuh aber nicht nur eine Rechtfertigung von erhaltenen Vertrauensvorschüssen, sondern vor allem eine sehr freudvolle Beschäftigung, es begeistert ihn richtig. „Ich habe irgendwann gemerkt: Was mir sehr grossen Spass macht, ist Probleme lösen. Es ist einfach etwas, was ich sehr gerne mache. Begeisterung“, findet er, „ ist mindestens genauso wichtig, wie wirkliches, richtiges Können in der Architektur. Die Begeisterung für Neues, Neues kennenzulernen, die Begeisterung, Neues zu hinterfragen und von jeder neuen Lösung, die noch ein kleines Wenig besser ist, wieder aufs Neue begeistert zu sein, das ist wahnsinnig wichtig, in dem was wir machen. Möglicherweise würde das anders ausschauen, wenn ich Probleme angehen müsste, die in ihrem Kern unlösbar sind, aber bei dem was ich mache, treten ja eigentlich ganz lösbare Probleme auf, die sogar noch den zusätzlichen Vorteil haben, dass die Lösung eine physische Manifestation hat. Es wird etwas Gebautes. Es ist etwas da zum Schluss. Das ist grossartig. Sehr sehr befriedigend.“

„Viele Architekten leiden. Gesunde Geltungssucht.“

Die zuletzt von Bundschuh gebaute physische Manifestation steht in der Michaelkirchstrasse in Berlin. Auch dort hat er ein Wohnhaus für ein Sammler – Ehepaar realisiert, neu ist hier, „dass wir eine Typologie genommen haben, die man üblicherweise eher in der Horizontalen findet, die Idee des französischen Hotel Partculier. Diese klassische Abfolge horizontalen Wohnens haben wir nach oben geklappt und damit ins Vertikale übersetzt: Der Innenhof ist unten, das Wohngebäude in der Mitte und der Garten ist auf dem Dach.“


Bundschuh lässt das Gesagte kurz wirken, erklärt dann, welche Hoffnungen er in das Gebäude setzt: „Wir machen hier ein Projektionsangebot. Es ist wichtig, dass eine individuelle Projektion stattfindet, dass sich also der einzelne Betrachter, der einzelne Nutzer von dem Gebäude persönlich angesprochen fühlt und dass es ihm idealerweise eine Frage stellt über seine Rolle im städtischen Leben.“ Das wäre für ihn ein schöner Erfolg, führt er aus. „Ich weiß, das viele Architekten glauben, mit ihrer Arbeit die Gesellschaft nachhaltig verändern zu können. Ich weiß es deshalb, weil ich es selber auch glaube. Tatsächlich wird es wohl so sein, dass es wahrscheinlich deutlich weniger der Fall ist, als wir uns das erhoffen. Ein Ziel haben wir auch schon erreicht, wenn es uns gelingt, solche Fragen aufzuwerfen.“

„Ich habs bis jetzt noch nicht bereut. Nicht nachhaltig bereut.“

Schon im Alter von 12 Jahren war es für Bundschuh klar, dass er Architekt werden würde. Heute verortet er sein Tun in einem weitaus komplexeren Betätigungsfeld, als er sich das damals vorgestellt hat. „Ich hatte gedacht, ich zeichne etwas, das jemand anders dann baut.

Tatsächlich geht es heute bei fast allen Projekten, auch in der Ausstellungsarchitektur, darum, Dinge ganz neu zu begreifen, neue räumliche Zusammenhänge zu schaffen. Ausserdem,“ setzt er einen kurzen Moment später mit hochgezogenen Augenbrauen wieder an: „Sofern man einen gewissen ästhetischen Anspruch realisieren möchte, wird man immer wieder neue, immer wieder bessere Lösungen suchen müssen. Betriebswirtschaftlich ist das ein zusätzlicher, erhöhter Aufwand, der dazu führt, dass man mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht reich wird. Architekt zu sein, ist deshalb auch für mich ein nicht ganz so einträglicher Beruf, wie ich vielleicht anfänglich dachte.“

Bundschuh legt beide Hände nebeneinander auf den Tisch und betrachtet sie mit liebevoller Fürsorge. Dann holt er sehr tief Luft, beginnt genussvoll zu lächeln und lässt sich sein Fazit auf der Zunge zergehen: „Ich gehe davon aus, dass ich, solange ich kann, ins Büro gehen werde und ich gehe davon aus, dass ich, solange ich kann, damit Geld verdienen werde und bedauerlicherweise gehe ich davon aus, dass das auch notwendig sein wird.“ SJ

Christine und Josef Rehm, Spargel Rehm, Schrobenhausen

„Es steht alles im Wasser.“

    Christine und Josef Rehm, Spargel Rehm, Schrobenhausen

„Es steht alles im Wasser.“

    „Heute ist ein furchtbarer Tag. Von vielen Schlechten einer der Schlimmsten. “ Christine Rehm lacht uns kämpferisch an. Seit zwei Generationen baut sie mit Ihrer Familie in Linden bei Schrobenhausen ihren Freilandspargel an, ganz ohne die sonst überall verbreitete Plastikfolie. „Ostern kam die Kälte, seit dem nur noch Regen, heute schon den ganzen Tag. Die Dämme brechen bald auseinander – man kann den Acker fast gar nicht betreten.“

Bestellungen hat Familie Rehm ohne Ende. Nicht nur Privatleute lieben ihren Spargel, auch einige Spitzengastronomen aus dem nahegelegenen München möchten ihre Gäste mit dem langsam wachsenden, besonders aromatischen Freilandspargel verwöhnen. Aber die Rehms können nicht liefern. Der erste Spargel ist ihnen dieses Jahr bei einem Kälteeinbruch im April erfroren und seitdem wächst nichts mehr, weil das Wetter verrückt spielt. „Für uns als Familienbetrieb ist das natürlich nicht einfach,“ stöhnt Rehm auf. „Eine Katastrophe. Wir haben heuer aus der Spargelernte überhaupt kein Einkommen. Das ist ein Riesenverlust für uns.“

„Die Natur denkt sich was dabei – es hat alles seinen Sinn.“

„Man hat eine Menge Arbeit “, erzählt sie. „Wir machen ja alles mit der Hand, die Natur achten, das ist wichtig, auch wenn es jetzt mal furchtbar regnet. So ist halt die Natur und wir wollen mit der Natur leben und arbeiten, nicht gegen sie.“ Einen guten Spargel anzubauen, ist komplex. Von der Wahl der Pflanzen selbst, über die Düngung, die Pflege, das alles ist ja heute total industrialisiert. Spargel wächst, auf Masse gezüchtet, in kürzester Zeit unter Folientunneln. „Da geht ein Kulturgut verloren, dagegen kämpfen wir.“

Deshalb bauen die Rehms ihren Spargel ohne Folie an, nur mit gutem Gemüsedünger und mit ganz viel Liebe. Sie benutzen dafür alte deutsche Sorten, die sind gar nicht mehr leicht zu bekommen und ausserdem auch recht kostspielig – sie brauchen viel Pflege. Der Spargel soll langsam wachsen und dadurch sein ganzes Aroma voll und ganz entwickeln können. Bei uns,“ erklärt Rehm mit ihrem liebenswert entschiedenen Tonfall, „ist der Spargel noch etwas Besonderes – wir schätzen jede Stange. Wir haben auch nicht diese Massen, für uns zählt noch die Qualität. Der Spargel braucht Luft und Zeit. Man muss auch nicht im März schon Spargel essen. Das braucht kein Mensch.“

„Der ist nussig, mild und zart.“

„Schneeweiss, schnurgerade, geschlossener Kopf – das ist der Einheitsspargel, Massenware, da sind wir total dagegen.“ Christine Rehm kommt nun richtig in Schwung, sie strahlt: „Wir vermeiden das. Unser Spargel wächst langsamer, wir haben doppelt so viel Arbeit und nur den halben Ertrag. Und wenn das Wetter es so will, dann haben wir gar keinen Spargel.


All diese Nachteile nehmen wir aber in Kauf, weil wir wissen, es ist das Beste für die Umwelt, die Natur, den Menschen – und für den Spargel, für den Geschmack. Unser Spargel ist butterzart, da braucht man nicht einmal ein Messer. Und der Geschmack ist ganz was anderes – super…aromatisch. Da gibt’s auch nix dazu,“ lächelt sie siegesgewiss, „schon gar kein Fleisch, das braucht nur der Folienspargel, der schmeckt ja sonst nach nix.“

„Folie, überall Folienfetzen.“

Deutschlandweit werden über 95% des Spargels unter Folientunneln angebaut, um zu kaltes oder zu heisses Wetter auszugleichen. Das steigert enorm den Ertrag und der Spargel ist wesentlich früher erntereif. Für Christine Rehm ist das eine Umweltkatastrophe. „ Mir tut es in der Seele weh, wenn ich die Felder sehe – mit all der Plastikfolie.“ Wenn die Sonne brennt und Wind aufkommt, zerbricht die Folie und fliegt in kleinen und kleinsten Stücken überall hin.


„Die Folienfetzen kommen bei uns aus dem Acker raus – bei uns, wo nie Folie darauf war. Die fliegen überall rum, verfangen sich und bleiben dann irgendwo liegen. Die Folie besteht aus PE , man darf nicht vergessen, der ganze Plastikmüll im Meer, gegen den wir kämpfen, auch das ist PE.“

„Manchmal zweifeln wir schon.“

„Es sind jetzt schon harte Wochen für uns, die ganze Ernte dahin, man fragt sich wie es weiter gehen soll,“ erzählt Christine Rehm. „Manchmal kriege ich auch wirklich die Wut, wenn ich sehe, was die anderen stechen mit ihrer Folie, welche Massen die ernten, egal wie kalt es ist.

Aber ganz ehrlich, der Zweifel, der bestätigt uns immer wieder aufs Neue, dass wir doch das Richtige machen. Es kann nicht Sinn der Sache sein, dass man Spargel in solchen Massen anbaut. Wir möchten als Bauern, als Unternehmer auch noch in den Spiegel schauen können, nicht um uns herum alles zerstören und kaputtmachen. Wir sehen ja überall wohin das führt mit der Überproduktion und der Monokultur in der Landwirtschaft. Wenn wir darüber nachdenken, das bestärkt uns nur noch mehr in unserem Wollen.“

„Man muss überzeugt sein von dem was man macht.“

„Ich schöpfe meine Kraft in dieser schwierigen Situation immer wieder aus der festen Überzeugung, dass wir einfach das Richtige tun. Es wird schon werden. Was wir anbauen, das ist gut. Das essen wir auch selber.“ Josef Rehm ist nun auch dazugekommen. Er lächelt voller Ruhe und Zuversicht und schaut hinaus in die nasse Regenlandschaft. „Wenn die Sonne wieder kommt, durch die Wolken scheint, dann werde ich als erstes denken: Jetzt geht es mal aufwärts. Auf das warten wir – und das kommt auch.“ Er erzählt uns vom allerbesten aller Spargel: „Besonders gut schmeckt der, wenn er von der Sonne – nicht von der wochenlangen Lagerung in Kühlräumen – von der Sonne einen blauen Kopf bekommt. Der schmeckt dann ganz unvergleichlich, weil er eben die Sonne gesehen hat.“

„Unsere Kunden,“ sagt Rehm, „ geben uns Hoffnung. Das gibt uns die Kraft. Die stehen bei uns auf dem Markt und haben ein Präsent dabei. Die haben Tränen in den Augen, wenn die Saison zuende geht. Weil wir dann nicht mehr kommen. Das ist es, was uns in unserem Tun bestätigt. Die eigene Überzeugung und dann: Der einzelne Kunde.“ SJ

Lena Krapiwnikow, YUU Shop, Berlin

„Ich bin nicht so kompromißbereit.“

    Lena Krapiwnikow, YUU Shop, Berlin

„Ich bin nicht so kompromißbereit.“

    Ruhig schaut sie auf, von ihrer Arbeit, irgendeiner wichtigen Kleinigkeit , die sie gerade in ihrem Laden konzentriert verrichtet. Lena Krapiwnikow macht nicht den Eindruck, als würde sie hier auf Kunden warten. Sie wirkt gerade und wer ihr Geschäft betritt, wird bald spüren, das alles hier, im YUU Shop in der Steinstrasse in Berlin Mitte, irgendwann in den letzten 6 Jahren von Krapiwnikow erwirkt wurde. Das Geschäft ist in jedem Detail ihr ganz eigenes Werk, ein direkter Ausdruck ihrer klaren, mit viel Bedacht und einer Tasse grünem Tee ausgeübten Entscheidungskraft.

„Fass das mal an, zieh das mal an“, sagt Lena Krapiwnikow oft zu ihren Kunden – dann ist sie präsent, ihre Leidenschaft, ihre Begeisterung für, wie sie es nennt, „schöne Mode“. Die Idee einen eigenen Laden zu eröffnen, ist für sie aus dieser Leidenschaft hervorgegangen – und aus der Tatsache, dass Stücke ihrer Lieblingsdesigner für sie während des Studiums einfach unerschwinglich waren. „Das hat mich geärgert“, sagt sie sehr langsam.

„Ich vertraue auf meine Fähigkeiten.“

Damals war projektbezogenes Arbeiten als Stylistin oder Kostümbildnerin neben dem Studium für sie in Ordnung, stellte aber keine Perspektive dar, es erschien ihr genauso wenig verlockend wie eine Designerstelle in der Modeindustrie. Ihr wurde klar, dass sie ihre Idee von Mode mit einem festen, in stärkerem Masse selbstbestimmten Ort verbinden wollte. „Also ein Laden!“ Aber wie? Ein Geschäft mit aktuellen Teilen großartiger Designer wie Dries van Noten oder Ann Demeulemeester zu eröffnen, erschien ihr als ein viel zu großes finanzielles Wagnis, gute Secondhand Fashion fand man aber schon überall.

„Irgendwann kam mir die Idee, dass es etwas dazwischen gibt“: Nämlich ihr eigenes Konzept, tolle, neue, ungetragene Teile aus den besten Vorjahreskollektionen einzukaufen und in einem in seiner Form einzigartigen Laden zu nachvollziehbaren Preisen einer besonderen Kundschaft zugänglich zu machen. Akribisch begann sie ihren Plan immer wieder zu durchdenken, rechnete die Sache gründlich für sich durch. Am Ende kam eine Summe heraus, die Krapiwnikow als „durchschnittlichen Tagesumsatz“ in ihrem Geschäft benötigen würde: „Ich hab mir gedacht: Das ist realistisch.“

„Persönlichkeit und Identität. Selber als Mensch für etwas stehen.“

Heute, wenn sie im Laden arbeitet, denkt sie noch manchmal daran, wie wichtig es damals war, mit aller gebotenen Umsicht und Beharrlichkeit eine wirklich richtige und von Anfang an konsequente Entscheidung getroffen zu haben. Zu jeder Zeit und in allen Dingen kann sie nun ihrer eigenen Auffassung folgen. Das ist sehr wertvoll. Sie kann jetzt einfach immer das tun, was für sie das Richtige ist. Und sie hat einen Weg gefunden, mit Mode zu arbeiten, die ihr und auch ihren Kunden wirklich etwas bedeutet: „Bewusstsein, Qualität. In einer guten Hose steckt alles drin. Was ich hier verkaufe, stellt für mich das dar, was mich an Mode interessiert: Selber als Mensch für etwas stehen und Mode nutzen, um diese Haltung zum Ausdruck zu bringen.“


Das Eigene und Individuelle an Lenas Art, ein Geschäft zu betreiben hat den Ort in der Steinstrasse inzwischen vollständig durchdrungen. Kunden kommen manchmal auch vorbei, ohne etwas kaufen zu wollen. Einfach nur, um eine Weile da zu sein. Es herrscht eine ganz unvergleichliche Balance aus Nähe und Distanz. „Meine Kunden kommen wegen des Windes, der hier weht“, sagt Krapiwnikow und lächelt, denn: „das sind auch ganz oft Menschen, die ich mag und wirklich interessant finde. Die haben wie ich einfach Lust auf Gutes. Mode sieht man ihnen gar nicht an.“

„Arbeit oder Familie? Beides!“

Zwei Jahre nach der Eröffnung des YUU Shop wurde Krapiwnikow Mutter einer Tochter. War die Arbeit vorher ihr Lebensmittelpunkt gewesen, so stand nun die Familie noch mehr im Fokus ihrer Aufmerksamkeit. „Jetzt mit Kind hat es sich tatsächlich verändert“, versucht sie zu beschreiben. „Ich arbeite immer noch sehr gerne und mache das auch, wenn ich es mache, sehr leidenschaftlich – aber ich arbeite nicht mehr so viel. „Nächste Woche passt mir der Dienstag, Mittwoch – und der Freitag. Ich bin total glücklich, beides zu haben. Ich freue mich wahnsinnig darauf, hierher kommen zu können und dann, nach der Arbeit, auch wieder nach hause zu gehen. Meine Arbeit bedeutet mir, mich ausleben zu können, zu schauen, zu gestalten, kreativ sein zu dürfen. Was möchte ich heute hier machen? Was wollen die Leute gern haben? Das zu sehen, darauf zu reagieren, das ist es. Und dann kommt jemand rein und freut sich, hier bei mir eine tolle Hose für sich zu finden.“


Ihre Familie war für Krapiwnikow schon immer eine feste Wurzel. Aufgewachsen ist sie als jüngstes von 3 Geschwistern. Ihre Kindheit, ihre Erziehung bezeichnet sie heute als ihre „wichtigste Ressource“. „Die Möglichkeit mich als Kind zu entfalten, mich ganz genau kennen zu lernen, hat mich bis heute geprägt. Ich durfte alles ausprobieren, meine Eltern standen immer hinter mir und dem was ich gemacht habe. Wir sind sehr eng und geben uns gegenseitig Sicherheit“, erzählt sie und beschreibt ihre Kindheit als eine beschützte Zeit in grosser Vielfalt und Freiheit. Auch ihre Zeit auf der Waldorfschule nennt sie heute als Quelle ihres gestalterischen und unternehmerischen Mutes. „Dieses freie Entwickeln, verschiedenste Dinge selber zu versuchen, in der Freizeit immer zu tun, wozu man Lust hat – das hilft unheimlich dabei, sich kennen zu lernen und irgendwann zu wissen: Ich muss mich nicht an den Mustern anderer orientieren. Das bin ich, das will ich.“

„Reich werde ich hier nicht.“

Krapiwnikow lächelt schon wieder. Sie ist glücklich darüber, sich selbst als erfolgreich zu empfinden: „Erfolgreich in dem Sinne, dass ich etwas tue, das mich selbst überzeugt – und auch andere.

Manchmal“, gesteht sie, „muss ich mich ein wenig kneifen, mir immer mal wieder bewußt machen, was für ein tolles Gefühl es ist, zu sehen, was ich hier habe. Wie frei, lustvoll und selbstbestimmt ich mit diesem Geschäft den Lebensunterhalt für meine Familie verdienen kann – und dass ich immer, bei der kleinsten Kleinigkeit sagen kann: Das hier gefällt mir nicht, das ändere ich mal.“ SJ

Helga Voss, Keimzelle Vichel, Vichel

„Die Hände müssen in die Erde.“

    Helga Voss, Keimzelle Vichel, Vichel

„Die Hände müssen in die Erde.“

    Es dauert noch eine Stunde, bis die Glocken läuten. Wir sind in Vichel, einem kleinen verwunschenen Rundlingsdorf im Ruppiner Land, 80 km nordwestlich von Berlin. Eine Stunde, bis die Kirchturmglocken die Mittagspause einläuten. Helga Voß empfängt uns an der Eingangstür eines großen Fachwerkhauses. Seit 2016 bewohnt sie hier eine kleine Einliegerwohnung. Als sie uns hereinbittet, spüren wir sofort eine milde Wärme in ihren Räumen. „Es sind hier immer 20 Grad“ verrät sie uns. „Die Lehmwände machen es möglich.“ Wir fragen uns, ob uns die milde Wärme auch ohne ihre Anwesenheit begegnet wäre.

Helga Voß wird in diesem Jahr 80 Jahre alt. Oder jung. Sie ist eine dieser Frauen, die diese Verbindung von weiser Ruhe und Gelassenheit, gepaart mit wachem Interesse ausstrahlen, die Lust auf das Alter macht. Als wir ihr ein paar Wochen zuvor unweit ihrer Wohnung zum ersten Mal begegnen, steht sie in einem Garten in Vichel, der Keimzelle. Hier erzeugt ein Ex-Berliner „Auswanderer-Paar“ Demeter-zertifiziertes Öko-Saatgut alter Kulturpflanzen; ein Schaugarten zeigt alternative Anbaumethoden. Wir wissen in diesem Moment nicht, wer diese Frau ist, noch wissen wir um ihre Verbindung zu diesem Ort, dem Garten. Greifbar ist einzig: Da ist eine Verbindung. Es ist, als gehöre diese Frau in diesen Garten. Wir sprechen sie an und erfahren, dass „der Garten“ wie eine Art Anker in ihrem Leben ist. Immer war er da. Und sie in ihm.

„Im Garten kriegt man alles unter die Füße.“

Aufgewachsen ist Voß in Thüringen. Das Elternhaus, am Wald gelegen, hat einen Schattengarten. In der Jugend zieht es die Familie nach Ratzeburg in Schleswig Holstein. Der Vater leitet dort das Alumnat. Auch die Zeit ihrer Jugend verbindet sie vor allem mit Erinnerungen an den damaligen Garten. Sie lebt mittlerweile in Bonn, als sie ihren späteren Ehemann kennenlernt. Einen Banker. Als im Rheintal unweit von Bonn ein neues Gebiet erschlossen wird, erwirbt das Ehepaar „eine riesengroße Fläche. Ein wunderschöner Garten mit sieben Pflaumenbäumen.“

Sieben. Diese Zahl, so erzählt uns Helga Voß sichtlich beglückt, „tauche sowieso immer wieder in ihrem Leben auf.“ Es ist zu jener Zeit in Bonn, als sie bemerkt, dass sie sich „von den Anthroposophen angezogen fühlt.“ „Heute“ sagt sie, „bin ich Anthroposophin“. Die Wesensglieder des Menschen entwickeln sich annähernd in Siebenjahresperioden, so sagt es die Lehre Rudolf Steiners. Zunächst führt sie ihr Weg aber als Lehrerin an eine Hauptschule in Köln. Klassische Beamtenlaufbahn. „Doch gleich nach der Schule ging es in den großen Garten bei Bonn“, berichtet sie und man merkt an der Art und Weise, wie sie es tut, welche Bedeutung dieses Ritual für sie hatte. „Ich kam aus dem Garten nach Hause und wusste gar nicht mehr, worüber ich mich geärgert hatte.“ Der Garten ist der Platz, wo alles in Ruhe kommt, das Gleichgewicht wieder hergestellt wird, so scheint es, wenn man ihr zuhört.

„Ich habe immer nach etwas Anderem gesucht. Da war es.“

Nachdem sie diverse anthroposophische Kurse absolviert hat, beginnt sie eine Hospitanz an einer Waldorfschule. Sie lässt die gesicherte Beamtenlaufbahn als Lehrerin hinter sich und absolviert ein einjähriges Studium der Waldorfpädagogik in Witten. Dort ist es eine Kollegin, die ihr von Camphill erzählt, einer heilpädagogischen Bewegung, die auf den Prinzipien der Anthroposophie basiert. Camphills sind Wohngemeinschaften und Schulen, die Erwachsene und Kinder mit Lernbehinderungen Unterstützung im täglichen Leben bieten. Helga Voß findet eine Anstellung in Botton Hill in Südengland, dem seinerzeit ersten Camphill-Zentrum für erwachsene Lernbehinderte.


„Früher war ich schüchtern, später habe ich die Schüchternheit abgelegt und wurde mutig“ sagt sie, als wäre diese Entwicklung selbstverständlich und allein Erklärung genug für diesen Schritt einer Frau, die sich kurz vor ihrer Silberhochzeit „im Guten“ von ihrem Mann trennt und die Heimat verlässt. „In Camphill hat sich dann alles gefügt. Alles was ich wusste, konnte ich dort anwenden.“ „Ich war 49, Sieben mal Sieben, als ich Deutschland verließ“, erzählt sie mit einem Lächeln im Gesicht.

„Besitz bedeutet mir nichts.“

Da sie unter anderem die Schreibmaschine bedienen kann, findet sie ihre erste Aufgabe im Schreibdienst. Ihr wahrer Platz aber ist auch hier der Garten. „Die Hände müssen in die Erde. Das ist meine Aufgabe, glaube ich.“ erinnert sie sich. „Wunderschön“ sei er gewesen, der Garten in Camphill. Es ist eine Beschreibung, die sie für fast jeden Garten verwendet, von dem sie berichtet. Die Art, wie sie dies tut, lässt keinen Zweifel aufkommen, dass jeder dieser Gärten auf eine einzigartige Weise wunderschön ist. In ihrem Empfinden.

Zudem scheint es keinen Unterschied in ihrer Begeisterung zu geben, ob es sich nun um ihren eigenen oder einen fremden Garten handelt. Ihre Einliegerwohnung ist mit Mobiliar ihrer Eltern bestückt, Geschenken und ausrangierten Büchern ihrer Freunde. Helga Voß geht es nicht ums Haben. Es geht ihr um Tun selbst. Immer sucht sie sich selbst Betätigungen, beginnt einfach oder bietet ihre Arbeit an. Am liebsten im Garten.

„Man sieht, was man getan hat.“

Als ihre Mutter erkrankt, kehrt sie nach Ratzeburg zurück. Da ist sie selbst 60. „Ich dachte, es würden die anthroposophischen sieben Jahre.“ Es wurden letztlich acht Jahre, bis die Mutter verstarb. Während dieser Zeit arbeitet sie viel im Schrebergarten der Mutter. „Der Garten ist ein Ort der Erdung“, beschreibt sie es zunächst fast pragmatisch. Um nach einem kurzen Moment der Innenschau fast ungläubig und leiser anzufügen: „Ich nehme an, dass es mein Schicksal ist. Denn ich weiß Sachen, die habe ich nirgends gelesen, nirgends gehört. Ich weiß, das ist die Pflanze und die muss ich so behandeln. Das ist manchmal erschreckend.“

Ihre heutige Wohnung in Vichel findet sie – kaum zu glauben – auf der Suche nach einem Garten. Eine Freundin erzählt ihr vom Gemeinschaftshaus Schloss Vichel, ein Ort gelebter Inklusion auf anthroposophischer Grundlage. Eigentlich will sie hier eine Bleibe finden, aber das erweist sich als nicht passend. Dann hört sie, „dass da hinten zwei Gärtner in ihrem Garten sind.“ Sie macht sich auf den Weg zu den Gärten und kommt unterwegs an einem Haus vorbei, welches zu dieser Zeit in Eigenregie restauriert wird. Der Bauherr fragt sie, was sie denn hier suche. „Eine Wohnung“ erwidert Voß. „Die habe ich“, lautet die Antwort.


Am gleichen Tag einigt man sich per Handschlag. „Ich dachte, das ist es“, erinnert sie sich. Als sie ein paar Tage zur Probe in ihrer heutigen Bleibe wohnt, begegnet sie zum ersten Mal Eve Bubenik und Winnie Brand, den Besitzern der „Keimzelle“. In dem Garten, den sie eigentlich suchte und stattdessen eine Wohnung fand. „Kann ich hier was tun?“ fragt sie die Beiden, die sich in Vichel vor Jahren mit einem Bauwagen niederließen und heute Öko-Saatgut produzieren. Sie kann. Und sie darf wiederkommen. Seither arbeitet Voß im Garten von und mit Eve Bubenik und Winnie Brand. Freiwillig. Sie erhält dafür das ganze Jahr über Gemüse aus dem Anbau. „Die wissen um das Anthroposophische. Automatisch, aus dem Bauch heraus. Die müssen das nicht über den Kopf verstehen.“ erklärt sie ihr Gefühl von Gemeinschaft, das sie mit Eve Bubenik und Winnie Brand verbindet.

„Arbeite, aber arbeite immer maßvoll.“

Mittlerweile haben die Kirchturmglocken geläutet. Eigentlich Zeit für die Mittagspause: Helga Voß macht für uns eine Ausnahme. Regelmäßige Zyklen sind ihr sehr wichtig. „Um 12, da soll man sich um sein Essen kümmern. Um 6 soll man aufhören.“ Das hat sie während ihrer Zeit in Camphill gelernt und verinnerlicht. Von 9 bis 12 Uhr arbeitet sie im Garten. Nach anderthalb Stunden macht sie eine Pause. Mittags für gewöhnlich einen Mittagsschlaf. An sieben Tagen in der Woche. Wenn sie nicht im Garten ist, arbeitet sie am Computer. Übersetzungen ins Englische und Französische. Aufträge aus ihrem Anthroposophen-Netzwerk. Auf keinen Fall will sie von Anderen abhängig sein.


Was gibt ihr die Arbeit im Garten, fragen wir sie. „Zufriedenheit. Ruhe. Freude.“ So lautet ihre Antwort. Es sind Worte, die das tragen, was wir sogleich wahrgenommen haben, als wir ihr begegneten. Und wenn sie nicht mehr in den Garten könne? „Dann ginge ich ein wie ein Primelpöttchen.“ antwortet sie, ohne zu überlegen. Auch die Art und Weise der Arbeit im Garten unterliegt für Helga Voß klaren Prinzipien. „Man muss im Garten in Stille sein.“ Sie könne „nicht plappern mit jemandem.“ Es gehe „darum, zügig voran zu kommen.“ Und auch dann komme „etwas zurück, aus dem Garten. Das Lebendige, das Ätherische ist das Besondere im Garten.“

„Es sollte so sein. Es ist meine Bestimmung.“

Das Ätherische. Das liegt auch als Duft in ihrem Badezimmer. „Le jardin sur la nel. Der Garten über dem Nil. So heißt das Parfüm.“ erklärt uns Helga Voß. Sie liebt das Parfüm, welches sie von einer Freundin geschenkt bekam. „Der Garten, das ist mein Leben“ sagt sie uns am Ende unseres Gesprächs. Dabei strahlt sie tiefe Ruhe und ein inneres Wissen aus. So mag es sich vielleicht anfühlen, wenn jemand seine Berufung gefunden hat und diese auch bejaht. Als wir gehen, zeigt sie uns noch ein Bild, das ihr eine Freundin aus Camphill geschenkt hat. „Sie sagte, es hat mich sofort an dich erinnert, Helga.“ Es heißt „Primavera“. Der Frühling. „Ich bin ein Frühlingsmensch“, fügt sie an. Das Bild zeigt eine Frau in einem Kornfeld. Eine Person, scheinbar in ihrem natürlichen Element.

Am 12. April feiert Helga Voß ihren 80. Geburtstag. Man möchte diesen Tag gerne mit ihr zelebrieren, der innerlich und äußerlich Junggebliebenen. Und mit ihr mit den Händen in die Erde. Um vielleicht auch ein wenig dieser Magie zu spüren. „Man kann das gar nicht fassen. Man bleibt innerlich so jung. Durch die Arbeit im Garten und die Ernährung. Ich sage immer, das Schönste wäre, im Garten umzufallen. Klatsch. Das wars.“

Text: Lars von Hugo

Claudia Schoemig, Schoemig Porzellan, Berlin

„Gefäße, als wären sie von selbst gewachsen“

    Claudia Schoemig, Schoemig Porzellan, Berlin

„Gefäße, als wären sie von selbst gewachsen“

    Geräuschvoll und dynamisch wird der Rollladen hochgezogen. Mit einem einnehmenden Lächeln begrüßt uns Claudia Schoemig mit ihrem Hund Mathilda an der Ladentür. Wir sind in der Raumerstraße in Prenzlauer Berg und besuchen die Keramikerin in ihrem Berliner Ladenatelier.

„In blassblauem Neon leuchtet uns beim Betreten des Ladens der Schriftzug „Porzellan“ entgegen. Unter der überdimensionalen Neonschrift stehen Gefäße und Teller in Reih und Glied. Gegenüber ist ein kleiner Arbeitsplatz eingerichtet, an dem weitere Objekte zum Trocknen aufgestellt sind und natürlich auch Mathildas Hundekorb Platz findet. Seit 2013 entwirft, produziert und verkauft die Keramikerin und Bildende Künstlerin hier vor Ort ihre zarten, puristischen Objekte. Von Vasen, Bechern, Tassen und Schalen bis hin zu Tellern reicht das Sortiment aus den Serien „Contrair Vasen“, „Graph Kollektion“ und „Sublim Becher“.

„Porzellan erinnert an Schnee oder die Textur von Papier“

Auch nach Jahren ist Claudia Schoemig noch fasziniert von ihrem Werkstoff: „Porzellan erinnert an Schnee oder die Textur von Papier“, schwärmt die Fränkin, die seit 1998 in Berlin lebt. Ihr Herz schlägt für Porzellan seit sie 17 war. Damals entdeckte Schoemig erstmals handgedrehte Gefäße in einem Laden. Sie kaufte zwei davon und wusste: „Das will ich machen“.

Nach einer Ausbildung zur Keramikerin betrieb Claudia Schoemig für vier Jahre eine eigene Werkstatt in Schonungen am Main und ging dann für ein Kunststudium nach Berlin. Während und nach ihrem Studium an der Kunsthochschule Weißensee arbeitete sie freiberuflich für viele renommierte Keramik- und Porzellanwerkstätten. 2011 gründete sie dann Schoemig Porzellan.

„Jeder Fehler ist mir lehrreich“

Dass Claudia Schoemigs Gefäße etwas Besonderes sind, merkt man sofort. Man möchte sie anfassen und am liebsten auch gleich alle mit nach Hause nehmen. Was der Laie eventuell nicht auf Anhieb sieht: Die Werkstücke sind im mittlerweile immer seltener angewandten Freidrehverfahren gefertigt. So gleicht kein Gefäß ganz dem anderen und jedes trägt als Unikat die spezifische Handschrift seines Produzenten. Um sein Handwerk so gekonnt zu beherrschen, wie Schoemig es tut, braucht man einen langen Atem und unzählige Stunden an der Drehscheibe.


„Man braucht sehr viel Erfahrung. Ich mache das jetzt schon über 15 Jahre. Auf dem Weg zur Perfektion macht man viele Fehler. „Jeder davon ist mir lehrreich“, so die Keramik-Künstlerin.

„Dialog mit dem Material“

Sie schätzt „den Dialog mit dem Material“, wie sie die Handarbeit nennt. „Heute arbeiten nicht mehr viele Menschen mit ihren Händen. Für mich fühlt sich das ganz natürlich an, ich mache das schon so lange.“ Sie mag das serielle Arbeiten, bei dem sie sich dem Arbeitsfluss hingeben kann, alle Handgriffe werden von einem bestimmten Zeitpunkt an fast wie automatisiert ausgeführt, man denkt nicht mehr bewußt darüber nach, was man tut, sondern erspürt es mit seinem Körper. „So entstehen Gefäße, als wären sie von selbst gewachsen.“


Gerade arbeitet Schoemig gemeinsam mit ihren Mitarbeitern an einer Becherkollektion für Mykita, ein Berliner Brillenlabel. „Es ist toll eine solch große Serie zu erarbeiten. Über 1000 Becher gehen seit Wochen durch unsere Hände. Es ist, als würde alles von selbst laufen. Man kennt jeden Arbeitsschritt ganz genau. Das ist Monotonie im positiven Sinn.“ Was in Schoemigs Beschreibung anschaulich wird, ist die Nähe des handwerklichen Arbeitens zur Meditation. Dass die Keramikerin vollkommen in sich ruht und für ihre Arbeit brennt, steht Schoemig ins Gesicht geschrieben und drückt sich in ihrer kompletten Körpersprache aus.

„Gute Arbeit bedeutet Hingabe an das, was man tut“

Was zeichnet gute Arbeit für die Designerin aus? Über die Antwort muss sie kurz nachdenken, denn bei ihr fließen Arbeit, Leben und Leidenschaft für das Handwerk in eins. „Gute Arbeit bedeutet Hingabe an das, was man tut“, erläutert Schoemig. Die Keramik beschreibt sie als berufliche Liebe und ihre Werkstatt als ihren Hafen, wo sie auch in ihrer Freizeit gerne hinkommt, um nachzudenken. Dass sich diese Haltung in der Qualität ihrer Produkte niederschlägt, belegt die Kür der Zeitschrift AD Architectual Digest. Sie hat Claudia Schoemig kürzlich unter die Top 50 der besten deutschen Designer gewählt. Doch nicht nur ihr künstlerisches Talent ist bemerkenswert. Als Chefin ihres Teams achtet sie auf ein gutes Arbeitsklima. Eine faire Bezahlung und ein schöner Arbeitsplatz sind ihr genauso wichtig wie nachhaltige Produktionsbedingungen. „Ich versuche mit meinem Betrieb organisch zu wachsen. Dazu gehört es immer wieder die wirtschaftlichen Abläufe zu überprüfen und zu verbessern. Man muss Verantwortung übernehmen und darauf Acht geben, dass alles auf soliden Füßen steht.“

Und wo will die Unternehmerin in zehn Jahren angelangt sein? Für die Zukunft wünscht sie sich vor allem eines: Noch mehr Freiraum für Experimente. Deshalb investiert sie in den Nachwuchs. Seit 2015 bildet Schoemig Porzellan als eine der wenigen deutschen Werkstätten im Keramikerhandwerk aus. „Ich möchte einen Ort schaffen, an dem das Handwerk lebendig bleibt und weiterentwickelt werden kann.“ Wir freuen uns auf neue Kollektionen!

Text: Sabrina Schleicher

Ana Lapa, Hebamme, Berlin

„Es hat eine ganz eigene Schönheit.“

    Ana Lapa, Hebamme, Berlin

„Es hat eine ganz eigene Schönheit.“

    Ana Lapa hat Nachtdienst. Drei Hebammen betreuen die Kreißsäale und haben sich ihre Aufgaben per Losentscheid zugeteilt. Ana wird diesmal die Aufnahme betreuen und sich um die Frauen kümmern, die mit Wehen, Blutungen und Schwangerschafts-beschwerden aller Art ins Krankenhaus kommen. Ganz in blau hockt sie im Neonlicht und flüstert uns leise und mit zarter Heiserkeit ihre Geschichte zu.

„Ich bin schon stolz darauf, wieviele Kinder in meine Hände geboren sind. Mehr als 1000. Ganz viele Menschen.“ „Verrückt“ sei das, findet Ana Lapa, die als Hebamme unter anderem an der Charité in Berlin arbeitet. Lapa ist Portugiesin und lebt schon lange in Berlin. Als sie selbst Mutter wurde, hat sie zum ersten Mal bewußt wahrgenommen, was Geburtshilfe leisten kann – und wollte dann auch Hebamme werden. Es war ein langer Weg, doch sie hat es geschafft: Heute arbeitet Lapa in ihrem Traumberuf.

„Geburt, wir sind dafür vorbereitet – und gleichzeitig nicht.“

„Eine Geburt ist immer eine Grenzerfahrung, weil Du durch etwas durchgehst, was Du noch nie erlebt hast. Du kannst den Tod auch ganz nah spüren. Das ist etwas Seltenes und gleichzeitig auch Brutales. Am Ende hat es eine ganz eigene Schönheit, aber es ist immer eine große Herausforderung, auch für die Hebamme. Keine Geburt ist wie die andere.“

Traumberuf? „Du kannst nicht jeden Tag im Kreißsaal stehen und diesen Wahnsinn aushalten“, sagt Lapa heute. „Ich habe viel gelernt“. Vor allem war es für sie wichtig zu lernen , ihren Traumberuf in Maßen und mit etwas mehr Distanz auszuüben. Die Arbeit war zu intensiv.

„Du must 100% dabei sein – und 100% distanziert.“

In schwierigen Situationen muss sie immer einen klaren Kopf bewahren, auch wenn ein Geburtsvorgang immer extrem emotional ist. Lapa darf sich nicht zu stark darauf einlassen, um die Kontrolle über die Ereignisse behalten zu können. Von allen Seiten wird von ihr als Hebamme verlangt, jede Geburt vollständig zu beherrschen. Auch wenn das in letzter Konsequenz wahrscheinlich gar nicht möglich ist. Sie hat gelernt, Abstand zu gewinnen, sich auch einmal innerlich zu distanzieren und sich zwischendurch systematisch zu entspannen, den Kopf frei zu bekommen: „Viel Musik hören“, sagt sie, „viel zu Fuß laufen, das ist es.“

Sie hat auch die Arbeit im Kreißsaal selbst, unter der Geburt, etwas reduziert, hat dafür begonnen, freiberuflich Frauen in der Vorsorge und im Wochenbett zu betreuen. Hier hört sie Herztöne ab, hilft bei den Problemen, die in der Schwangerschaft auftreten können und nimmt die Sorgen und die Ängste rund um die baldige Geburt. Nach der Geburt badet sie mit den jungen Müttern das Neugeborene das erste Mal oder sie hilft bei Still- und Trinkproblemen. Bei diesen Arbeiten kann Lapa sich innerlich erholen, sie braucht diesen Ausgleich, um im Kreißsaal ihre Leistung so erbringen zu können, wie es notwendig ist und wie sie es von sich selbst verlangt.

„Die Hände müssen wissen, was sie tun.“

„Präzision, das Handwerk beherrschen, das ist etwas sehr Schönes. Der Kopf muss auch dabei sein, klar“, erzählt sie und betrachtet ihre Hände. „Ich wünsche mir für jede Frau und jedes Paar, daß sie gestärkt aus dem Kreißsaal herausgehen können und wissen, auch wenn es schwer war, sie haben diese Kraft gehabt und es ist etwas Positives daraus geworden. Dabei helfen zu können, bedeutet mir sehr viel.“

Lapa hat eine gute Balance gefunden, um mit den enormen Anforderungen umgehen zu können, die ihr Beruf an sie stellt. Sie hat es verstanden, ihre Erschöpfung rechtzeitig und richtig zu deuten, und sich zu „schützen“, wie sie sagt. Dadurch hat sie sich ihre Freude am Beruf erhalten können, genauso wie ihre offene, einfühlsame und hingebungsvolle Haltung gegenüber den Frauen und Paaren, die sie betreut.

„Im Vergleich zu einer portugiesischen Geburt,
ist eine deutsche Geburt eine schöne Erfahrung.“

In ein paar Jahren möchte Lapa zurück nach Portugal ziehen und in der Nähe des Meeres leben. Dort kann sie mit ihren Erfahrungen helfen die Geburtshilfe strukturell zu verbessern und „menschlicher zu gestalten. Das ist mein Traum“, sagt sie. Anders als in Deutschland, Skandinavien und den Niederlanden, haben Frauen in Portugal weniger Möglichkeiten, bei der Geburt individuell mitzubestimmen, der ganze Prozess ist viel autoritärer und krankenhausorientierter organisiert.

„Es wird einfach im Bett gelegen, es gibt eine PDA und es wird vielleicht ein Dammschnitt gemacht. Das sind so Dinge, die in Deutschland Gott sei Dank schon sehr anders geworden sind.“

„Meine Arbeit gibt mir viel.“

Gelernt hat Lapa durch ihre Arbeit noch mehr. Sie hat gelernt, wie unglaublich belastbar sie ist, wie gedankenschnell und wie geduldig sie sein kann. Geduld zu üben war immer schwierig für sie. „Meine Arbeit belohnt mich“, sagt sie und lächelt. „Sie gibt mir Selbstvertrauen und ich lerne unheimlich viel über mich. Sie gibt mir die Möglichkeit, meine Fähigkeiten zu beweisen.“

Nur in einer Sache kommt Lapa nicht weiter: „Was ich nie lernen werde zu verstehen, ist dieses Geheimnis des Lebens. Keine Ahnung. Da bin ich genauso fassungslos jedesmal, wie jeder andere.“ SJ

Dan Santucci, Santucci Cycles, Berlin

„Ich wollte ein BMX. Das wusste er.“

    Dan Santucci, Santucci Cycles, Berlin

„Ich wollte ein BMX. Das wusste er.“

    Dan Santucci sitz auf einem schönen Vintage-Sofa in seinem Geschäft an der Danziger Strasse in Berlin. Er liebt schöne Dinge, besonders schöne Fahrräder. Deshalb hat er seinen ziemlich guten Job hingeworfen und baut jetzt „Wunschfahrräder“ für seine Kunden. Damit hat er eine alte Leidenschaft wiederentdeckt, denn schon mit 9 Jahren, in New Jersey, wurde er ein „Fahrradschrauber“. „Es ist eine wahre Geschichte“, wie er sagt.

„Ich muss die Bedürfnisse meiner Kunden verstehen“. Dan Santucci spricht leise und lächelt dabei. Er hat einen wunderschönen, leichten und sehr anziehenden New Jersey Accent, wenn er in allerbestem Deutsch seine Geschichte erzählt. Er ist aus Liebe nach Berlin gekommen und aus Liebe zu seiner Frau, die er zärtlich „Lebensgefährtin“ nennt, hat er auch Deutsch gelernt. Er hatte über 10 Jahre einen tollen Job in einer Softwarefirma. „Eine gute Zeit“, wie er sagt, doch dann kam er, der „turning-point“.

„Ich habe bezweifelt, dass man davon leben kann.“

In seiner Freizeit hatte er irgendwann aus alter Liebe damit angefangen. Hin und wieder baute er sich ein ganz individuelles Fahrrad aus irgendeinem gebrauchten Rahmen, fuhr damit zum Job. „Wow“, raunten die Kollegen und es sprach sich herum: „Dieser Typ baut seine eigenen Fahrräder – und die sind schön.“

So kamen die ersten Aufträge herein, die er erst abends, dann nachts und später auch noch an den Wochenenden realisierte. Er spezialisierte sich immer mehr, fing an zu handeln, Teile zu importieren, die man sonst auf dem Markt nicht bekommen konnte. „Mit den Händen zu arbeiten, das war für mich wie Meditation, eine Auszeit vom beruflichen Alltag.“

„Schritt für Schritt, Kinderschritte. Babyschrittchen.“

Die Nachfrage stieg weiter und Dan Santucci suchte überall auf der Welt nach schönen Fahrradteilen. „Alles was in meine Geschmacksrichtung ging, war nur schwer oder gar nicht auf dem Markt zu bekommen. Ich dachte, ok, das muss ich ändern.“ Er baute seinen privaten Webshop auf, fing an, selbst Teile zu produzieren, die es sonst gar nicht gegeben hätte. „Es ist dann so über viele Jahre passiert“, wiegelt er ab, „es war nicht so geplant.“


Als Kind schon hatte er immer sein ganzes Geld gespart, um sein Fahrrad pflegen und verbessern zu können, damit fing er jetzt wieder an. Er lebte immer sparsamer, legte sein Geld zurück. Er musterte und analysierte den Markt und irgendwann war es dann soweit, trotz aller Vorsicht und Zweifel sagte er sich: „Sehr wenig Händler, sehr wenig Läden. Es läuft so gut, ich muss es jetzt ausprobieren.“

„Ich baue das auf. Es ist mein eigenes Ding.“

„Ich traute dem Geschäft nicht“, erklärt Dan Santucci mit hochgezogenen Augenbrauen und einem sehr vielsagenden Lächeln. „Wer sich selbstständig macht, muss viele Sachen erst mal lernen.“ Es war eine sehr aufreibende Zeit. „Wer so eine Firma aufbaut, gibt immer 150%. Wenn Du Deine Freizeit willst, musst Du Dir eine Vollzeitstelle suchen“, schnarrt er. „Ich musste eine Firma gründen, aus meiner Leidenschaft einen Beruf machen. Ich wollte hier Ordnung haben, an Fahrrädern arbeiten, Konzepte entwickeln.“

„Er hat es blau gesprüht. Immer noch meine Lieblingsfarbe.“

Als Dan Santucci an seinem 9. Geburtstag von seinen Eltern sein erstes Fahrrad geschenkt bekam, war er entsetzlich enttäuscht. „Es sah überhaupt nicht nach BMX aus“, erzählt er über das rostige, abgelegte Fahrrad das sein Vater irgendwo aufgelesen hatte.


Doch der hatte einen Plan: „Pass mal auf: Wir machen es Dir nagelneu“, hatte er lachend gerufen. „Das hab ich ihm echt nicht geglaubt“, erinnert sich Dan Santucci, „doch dann haben wir das komplett zerlegt, draussen im Garten, im Sommer. Wir haben zusammen alles neu gemacht und dann haben wir den Rahmen lackiert. Es ist meine erste Erinnerung daran, an einem Fahrrad zu basteln, ein Wunschfahrrad daraus zu machen. Noch heute, wenn ich die Werkstatt rieche, lebe ich in diesem Gefühl. Wenn ich hier bin habe ich auch keine Computer – ich lenke mich nicht ab.“

„Mit dieser Tätigkeit, die mir so viel Spass macht, gehe ich sehr vorsichtig um.“

Nicht, dass er in seinem alten Job keine eigenen Ideen umgesetzt hätte, aber hier, erklärt er, „baue ich ein Rad, das meinen Namen trägt, es ist ein Produkt von mir. Funktion und Design, ich versuche meine Räder bis ins kleinste Detail zu harmonisieren, so habe ich mich zum Beispiel entschieden, meine Schutzbleche von einer kleinen Firma in Frankreich fertigen zu lassen. Es gibt Nuancen, die nur ich sehen kann, aber ich sehe das.“

So entschieden und kompromisslos Dan Santucci in künstlerischer Hinsicht arbeitet, so zurückhaltend und vorsichtig geht er in wirtschaftlichen Belangen vor. „Ich bin sehr kalkuliert in meinen Schritten, ich versuche schon die Produktion leicht zu erhöhen, will aber nie dahin kommen, Massenware anzubieten.“

„Man kann nicht alles machen.“

„Die Menschen sind alle unterschiedlich, jeder sollte ein anderes Fahrrad haben, nach seinem eigenen Geschmack“, findet Dan Santucci. Er selbst will sich aber weiter fokussieren, ganz sicher nicht das Angebot erweitern und alles Mögliche bauen. „Ich mache mein Geschäft so ein bisschen mysteriös, mache es den Leuten schwer mich zu finden. Ich mache alles nur auf Termin. Ich habe keine transparenten Öffnungszeiten. Die interessierten Leute wollen aber rausfinden, was ich da mache.“ Und das gelingt ihnen dann auch.

„Ich hole meine Kinder gerne von der Schule ab.“

„Ich liebe es“, strahlt er, „dass ich jetzt meine jetzt Zeit selber gestalten kann. Ich stehe früh auf, bin früh da und mache meine Arbeit. Das ist was Schönes, ein freies Gefühl.“

Dan Santucci hängt es nicht groß auf, aber er genießt auch den Gedanken daran, etwas Sinnvolles zu tun, wenn er Fahrräder baut: „Radfahren ist gesund, ist für die Umwelt super. Ich habe gar kein Auto, ich fahre auch bei Regen oder Schnee, es stört mich gar nicht. Ich freue mich, dass immer mehr Menschen ein schönes Fahrrad wertschätzen können.“ SJ

Sarah Ihlenfeld, Gestüt Lindenhof, Rohrlack

„Bestimmen ist nichts für mich.“

    Sarah Ihlenfeld, Gestüt Lindenhof, Rohrlack

„Bestimmen ist nichts für mich.“

    „Shining Star“ steht auf ihrem T-Shirt. Sarah Ihlenfeld lächelt ein wenig schüchtern. Es riecht nach frischem Heu und nach den schönen Pferden, die, nahezu unsichtbar, im fast unbeleuchteten Stall stehen und ruhig vor sich hin kauen. Durch die Oberlichter fällt milchiges Sonnenlicht auf Teile ihrer Mähnen, darunter erkennt man schemenhaft die muskulösen Körper. Ihlenfeld legt ihren Kopf an den Hals der Stute, die sie gerade bürstet. „Der Stall,“ erklärt sie, „ist der Ort, wo man wirklich mit den Pferden ist, wo man die Nähe spürt.“

„Mädchen und Pferde, das ist nur eine Theorie. Ich kenne auch genug Kerle, die nicht von den Pferden lassen können.“ Ihlenfeld legt lachend ihre Werkzeuge auf einen brusthohen Heuballen, macht ein paar Notizen in ihrem Tagesplan. Ihr Mobiltelefon liegt daneben auf dem Display, sie rührt es nicht an, nicht einmal mit einem Blick. „Wir suchen alle die Liebe zum Tier.“

„Ich bin jetzt 19“

Schon im Alter von 5 Jahren, daran kann sie sich gut erinnern, hat sie entdeckt, wieviel Freude es ihr bereitet, zu reiten, draussen zu sein und für Tiere zu sorgen, mit ihnen zu arbeiten, mit ihnen zu leben. „Es ist ein wunderschönes Gefühl für mich, nah bei einem Pferd zu sein, zu wissen, es fühlt sich mit mir wohl und vertraut mir voll und ganz. Das Loslassen zu spüren, wie es den Kopf entspannt, wie kein einziger Muskel zuckt, das versetzt mich in grosse Freude , das ist die Erfüllung für mich.“ Vor gut 2 ½ Jahren hat Ihlenfeld sich entschieden, hier in Rohrlack in der Nähe von Neuruppin, in der Obhut des Gestüts Lindenhof, eine 3-jährige Ausbildung zur Pferdewirtin zu absolvieren.

In Theorie und Praxis lernt sie alles, was man benötigt, um Pferde züchten und pflegen zu können. 2 Wochen auf dem Gestüt, dann 2 Wochen Schule. Immer im Wechsel. „Zäune kontrollieren, Futter, Wasser, jeden Tag schauen wie es den Pferden geht,“ erzählt sie. Dabei sei im Prinzip „alles, was das Pferd braucht“ Teil ihrer Aufgabe, ihres Jobs. Ihre Entscheidung, diesen Weg zu gehen, die Familie, die Freunde zumindest zeitweise in Berlin zurückzulassen, ist ihr sehr schwergefallen. „Es hat mich viel Mut und Überwindungskraft gekostet, meine Mama hat mich bestärkt, meine Freunde haben mir alle abgeraten. Die wollten nicht, dass ich weggehe. Aber ich habe es doch gemacht.“

„Wenn ich kein Geld bräuchte, würde ich das Gleiche tun.“

„Hier eine Ausbildung machen zu können, war ja im Grunde die Erfüllung meiner Träume. Ich habe ein Praktikum gemacht, eine Woche – und sofort angenommen.“ Ihlenfeld klettert auf einen Traktor und dreht den Zündschlüssel um. Es folgt eine Fahrt mit blinzelnden Augen und wehendem Haar durch die blendende Julisonne.


„Natürlich war das eine Berufswahl, eine wichtige Entscheidung für mich. Ich werde meinen Lebensunterhalt mit einer Arbeit verdienen, die ich auch ohne Bezahlung sehr gerne jeden Tag verrichten würde.“ Eine Win – Win Situation sei das, sie habe damit einfach „doppelt gewonnen.“ So viel Glück, findet sie, „konnte ich nur haben, weil ich den Mut aufgebracht habe, meiner inneren Stimme zu folgen. Man muss auf sein Bauchgefühl hören.“

„Shoppen gehe ich selten.“

Das sie in Rohrlack auf dem Lindenhof am richtigen Ort für sich ist, das merkt Ihlenfeld jedesmal wieder aufs Neue, wenn sie nach 2 Wochen Schule hierher zurückkehrt: „Ich bin viel mehr draussen, frische Luft, Sonne, ich ernähre mich automatisch ganz anders, habe andere Bedürfnisse. Gar kein Fast Food, viel mehr Knäckebrot und Selbstgemachtes. Ich koche mir jeden Tag etwas, lebe viel gesünder.


Ich habe hier auch Internet, aber nutze es gar nicht. Ich vergesse ständig mein Handy. Ich komme völlig zur Ruhe mit meiner Arbeit.“ Wunschlos glücklich sei sie dann, berichtet sie: „Geld brauche ich kaum für mein Leben. Ich kaufe nur ein, wenn ich mal etwas brauche – das kommt nicht oft vor. Ich habe noch nie viel gebraucht, war schon immer sehr ruhig. Aber hier gelingt mir das wirklich sehr gut – ich muss mit den Dingen, die mich umgeben verbunden sein, um das Gefühl geniessen zu können, dass ich nichts brauche.“

„Pferde verkaufen, das könnte ich nicht.“

Perspektive? „Ich mache mir gar keine Sorgen, lasse das Leben einfach auf mich zukommen. Solange ich mich wohlfühle mache ich mir nicht so die Gedanken. Ich suche auch keine Veränderung, schon gar keinen Aufstieg oder eine Führungsposition.

Bestimmen ist nichts für mich, ich habe dafür nicht so die Worte. Ich habe auch gar kein Bedürfnis zu leiten, zu führen, ich mag es lieber, wenn jemand anders führt und zum Beispiel die betriebliche Verantwortung übernimmt. Zahlen, das Wirtschaftliche, das interessiert mich nicht so sehr, dass ich das überhaupt machen möchte. Viele betriebliche Aufgaben haben ja auch gar nichts mit den Tieren zu tun, ganz im Gegenteil. Da sitzt man am Schreibtisch und muss schauen, dass man seine Pferde verkauft. Das könnte ich gar nicht. Das würde mich krank machen.“

„Arbeit bedeutet für mich Freude.“

Glück und Ruhe erlangt Ihlenfeld also sowohl durch ihre mutige Entscheidung für das Richtige, als auch durch die innere Beschränkung darauf.

„Ich bin so sehr glücklich,“ ist sie sich gewiss, „ich weiss, was ich zu tun habe, ich weiss, dass es sinnvoll ist und ich weiss, dass es mich zufrieden macht. So stehe ich jeden Tag morgens auf. Ich weiss, was ich machen werde und welches Glück das für mich ist. Ich liebe meine Arbeit, ich muss mit den Tieren sein.“ SJ