Gute Arbeit!

Roger Bundschuh, Bundschuh Architekten, Berlin

„Es wird etwas Gebautes.“

    Roger Bundschuh, Bundschuh Architekten, Berlin

„Es wird etwas Gebautes.“

    Es ist hell, sehr schön hell bei Bundschuh Architekten. Tageslicht. Roger Bundschuh lächelt fein. „Ein ganz kleines Problem müssen wir noch lösen, dann geht es gleich los.“ Er flüstert fast, dreht sich um und ist weg. An mehreren Arbeitsplätzen in allen Winkeln des Erdgeschossbüros sitzen ziemlich konzentrierte junge Leute. Bundschuh läuft von einem zum anderen und erwägt verschiedene Vorgehensweisen. Dann entspannt sich seine Körpersprache und mit jugendlichem Schlaks kommt er zu uns an den Konferenztisch zurück. Wir wollen mit ihm über Arbeit sprechen, über seine Arbeit.

„Arbeit, Arbeit,…“ Bundschuh sucht nach ersten Worten. „Arbeit ist für mich ein so integraler Bestandteil meines Lebens, es fällt mir schwer, hier abzugrenzen. Was ist Arbeit, was ist Leben? Für mich ist die Arbeit das Leben!“ Gedanklich, beschreibt er, sei er eigentlich immer bei seinen Projekten. „Aber nur, weil ich es so will, weil es mir so viel Spass macht. Eigentlich bin ich immer am Arbeiten.“

„Ziemlich viel Glück und auch etwas Zufall.“

1996 kam Bundschuh als Architekt nach Berlin, seit gut 10 Jahren gibt es sein Büro in der heutigen Form. Bundschuh lehrt am Dessau Institute of Architecture und arbeitet sehr erfolgreich im Grenzbereich zwischen Kunst und Architektur. Eingeladen, für eine kleine Freifläche an der Torstrasse eigentlich nur eine Aussenskulptur zu entwerfen, wurde ihm 2006 ohne „entscheidendes eigenes Zutun“ die Chance eröffnet, statt dessen eine viel grössere Fläche zu beplanen, und zwar für ein Wohn- und Geschäftshaus, ein „Nischenprodukt im Immobilienmarkt“, wie er sagt, „Zielgruppe Kunstsammler“.

Es war ein viel beachteter Start: „Die relativ spezifische Form des Hauses hat im städtebaulichen Kontext eine gewisse Aufmerksamkeit erregt, durchaus kontrovers. Wir wurden nun als Architekturproduzenten wahrgenommen, das war sehr positiv“, berichtet er. „Das hat dann auch tatsächlich ganz direkt zu wirklichen Folgeaufträgen geführt. Seit dem sind wir hier am Rosa Luxemburg Platz, dieses Büro war unser Baubüro, wir sind einfach hier geblieben, wir lieben es hier.“

„Ich geniesse ein grosses Mass an Freiheit.“

Heute ist sein Arbeiten geprägt von einem spürbaren „Vertrauensvorschuss“ seiner Auftraggeber, erklärt er uns. „Die Bauherren fragen ein sehr spezifisches Produkt an, sie wollen eine Lösung, die eigens für sie erarbeitet ist, die aber gleichzeitig eine gewisse Handschrift hat. Diese Handschrift ist etwas, das nur durch Vertrauen und das Gewähren von Freiheit dann auch herzustellen ist.“

Bundschuh blinzelt ins Licht und reibt sich die Augen. „Und das Vertrauen ist etwas, das man sich immer wieder neu verdienen muss, wir müssen jedesmal beweisen, dass wir es verdient haben, dass man dieses Vertrauen in uns setzt – und zwar in allen Stufen des Planungsprozesses. Da kann es schwierige Probleme geben, es kann sehr viel schiefgehen.“

„Ein Grübler und Zweifler. Mit Begeisterung.“

Das frühzeitige Erspüren und vor allem das Bewältigen solcher Herausforderungen ist für Bundschuh aber nicht nur eine Rechtfertigung von erhaltenen Vertrauensvorschüssen, sondern vor allem eine sehr freudvolle Beschäftigung, es begeistert ihn richtig. „Ich habe irgendwann gemerkt: Was mir sehr grossen Spass macht, ist Probleme lösen. Es ist einfach etwas, was ich sehr gerne mache. Begeisterung“, findet er, „ ist mindestens genauso wichtig, wie wirkliches, richtiges Können in der Architektur. Die Begeisterung für Neues, Neues kennenzulernen, die Begeisterung, Neues zu hinterfragen und von jeder neuen Lösung, die noch ein kleines Wenig besser ist, wieder aufs Neue begeistert zu sein, das ist wahnsinnig wichtig, in dem was wir machen. Möglicherweise würde das anders ausschauen, wenn ich Probleme angehen müsste, die in ihrem Kern unlösbar sind, aber bei dem was ich mache, treten ja eigentlich ganz lösbare Probleme auf, die sogar noch den zusätzlichen Vorteil haben, dass die Lösung eine physische Manifestation hat. Es wird etwas Gebautes. Es ist etwas da zum Schluss. Das ist grossartig. Sehr sehr befriedigend.“

„Viele Architekten leiden. Gesunde Geltungssucht.“

Die zuletzt von Bundschuh gebaute physische Manifestation steht in der Michaelkirchstrasse in Berlin. Auch dort hat er ein Wohnhaus für ein Sammler – Ehepaar realisiert, neu ist hier, „dass wir eine Typologie genommen haben, die man üblicherweise eher in der Horizontalen findet, die Idee des französischen Hotel Partculier. Diese klassische Abfolge horizontalen Wohnens haben wir nach oben geklappt und damit ins Vertikale übersetzt: Der Innenhof ist unten, das Wohngebäude in der Mitte und der Garten ist auf dem Dach.“


Bundschuh lässt das Gesagte kurz wirken, erklärt dann, welche Hoffnungen er in das Gebäude setzt: „Wir machen hier ein Projektionsangebot. Es ist wichtig, dass eine individuelle Projektion stattfindet, dass sich also der einzelne Betrachter, der einzelne Nutzer von dem Gebäude persönlich angesprochen fühlt und dass es ihm idealerweise eine Frage stellt über seine Rolle im städtischen Leben.“ Das wäre für ihn ein schöner Erfolg, führt er aus. „Ich weiß, das viele Architekten glauben, mit ihrer Arbeit die Gesellschaft nachhaltig verändern zu können. Ich weiß es deshalb, weil ich es selber auch glaube. Tatsächlich wird es wohl so sein, dass es wahrscheinlich deutlich weniger der Fall ist, als wir uns das erhoffen. Ein Ziel haben wir auch schon erreicht, wenn es uns gelingt, solche Fragen aufzuwerfen.“

„Ich habs bis jetzt noch nicht bereut. Nicht nachhaltig bereut.“

Schon im Alter von 12 Jahren war es für Bundschuh klar, dass er Architekt werden würde. Heute verortet er sein Tun in einem weitaus komplexeren Betätigungsfeld, als er sich das damals vorgestellt hat. „Ich hatte gedacht, ich zeichne etwas, das jemand anders dann baut.

Tatsächlich geht es heute bei fast allen Projekten, auch in der Ausstellungsarchitektur, darum, Dinge ganz neu zu begreifen, neue räumliche Zusammenhänge zu schaffen. Ausserdem,“ setzt er einen kurzen Moment später mit hochgezogenen Augenbrauen wieder an: „Sofern man einen gewissen ästhetischen Anspruch realisieren möchte, wird man immer wieder neue, immer wieder bessere Lösungen suchen müssen. Betriebswirtschaftlich ist das ein zusätzlicher, erhöhter Aufwand, der dazu führt, dass man mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht reich wird. Architekt zu sein, ist deshalb auch für mich ein nicht ganz so einträglicher Beruf, wie ich vielleicht anfänglich dachte.“

Bundschuh legt beide Hände nebeneinander auf den Tisch und betrachtet sie mit liebevoller Fürsorge. Dann holt er sehr tief Luft, beginnt genussvoll zu lächeln und lässt sich sein Fazit auf der Zunge zergehen: „Ich gehe davon aus, dass ich, solange ich kann, ins Büro gehen werde und ich gehe davon aus, dass ich, solange ich kann, damit Geld verdienen werde und bedauerlicherweise gehe ich davon aus, dass das auch notwendig sein wird.“ SJ

Christine und Josef Rehm, Spargel Rehm, Schrobenhausen

„Es steht alles im Wasser.“

    Christine und Josef Rehm, Spargel Rehm, Schrobenhausen

„Es steht alles im Wasser.“

    „Heute ist ein furchtbarer Tag. Von vielen Schlechten einer der Schlimmsten. “ Christine Rehm lacht uns kämpferisch an. Seit zwei Generationen baut sie mit Ihrer Familie in Linden bei Schrobenhausen ihren Freilandspargel an, ganz ohne die sonst überall verbreitete Plastikfolie. „Ostern kam die Kälte, seit dem nur noch Regen, heute schon den ganzen Tag. Die Dämme brechen bald auseinander – man kann den Acker fast gar nicht betreten.“

Bestellungen hat Familie Rehm ohne Ende. Nicht nur Privatleute lieben ihren Spargel, auch einige Spitzengastronomen aus dem nahegelegenen München möchten ihre Gäste mit dem langsam wachsenden, besonders aromatischen Freilandspargel verwöhnen. Aber die Rehms können nicht liefern. Der erste Spargel ist ihnen dieses Jahr bei einem Kälteeinbruch im April erfroren und seitdem wächst nichts mehr, weil das Wetter verrückt spielt. „Für uns als Familienbetrieb ist das natürlich nicht einfach,“ stöhnt Rehm auf. „Eine Katastrophe. Wir haben heuer aus der Spargelernte überhaupt kein Einkommen. Das ist ein Riesenverlust für uns.“

„Die Natur denkt sich was dabei – es hat alles seinen Sinn.“

„Man hat eine Menge Arbeit “, erzählt sie. „Wir machen ja alles mit der Hand, die Natur achten, das ist wichtig, auch wenn es jetzt mal furchtbar regnet. So ist halt die Natur und wir wollen mit der Natur leben und arbeiten, nicht gegen sie.“ Einen guten Spargel anzubauen, ist komplex. Von der Wahl der Pflanzen selbst, über die Düngung, die Pflege, das alles ist ja heute total industrialisiert. Spargel wächst, auf Masse gezüchtet, in kürzester Zeit unter Folientunneln. „Da geht ein Kulturgut verloren, dagegen kämpfen wir.“

Deshalb bauen die Rehms ihren Spargel ohne Folie an, nur mit gutem Gemüsedünger und mit ganz viel Liebe. Sie benutzen dafür alte deutsche Sorten, die sind gar nicht mehr leicht zu bekommen und ausserdem auch recht kostspielig – sie brauchen viel Pflege. Der Spargel soll langsam wachsen und dadurch sein ganzes Aroma voll und ganz entwickeln können. Bei uns,“ erklärt Rehm mit ihrem liebenswert entschiedenen Tonfall, „ist der Spargel noch etwas Besonderes – wir schätzen jede Stange. Wir haben auch nicht diese Massen, für uns zählt noch die Qualität. Der Spargel braucht Luft und Zeit. Man muss auch nicht im März schon Spargel essen. Das braucht kein Mensch.“

„Der ist nussig, mild und zart.“

„Schneeweiss, schnurgerade, geschlossener Kopf – das ist der Einheitsspargel, Massenware, da sind wir total dagegen.“ Christine Rehm kommt nun richtig in Schwung, sie strahlt: „Wir vermeiden das. Unser Spargel wächst langsamer, wir haben doppelt so viel Arbeit und nur den halben Ertrag. Und wenn das Wetter es so will, dann haben wir gar keinen Spargel.


All diese Nachteile nehmen wir aber in Kauf, weil wir wissen, es ist das Beste für die Umwelt, die Natur, den Menschen – und für den Spargel, für den Geschmack. Unser Spargel ist butterzart, da braucht man nicht einmal ein Messer. Und der Geschmack ist ganz was anderes – super…aromatisch. Da gibt’s auch nix dazu,“ lächelt sie siegesgewiss, „schon gar kein Fleisch, das braucht nur der Folienspargel, der schmeckt ja sonst nach nix.“

„Folie, überall Folienfetzen.“

Deutschlandweit werden über 95% des Spargels unter Folientunneln angebaut, um zu kaltes oder zu heisses Wetter auszugleichen. Das steigert enorm den Ertrag und der Spargel ist wesentlich früher erntereif. Für Christine Rehm ist das eine Umweltkatastrophe. „ Mir tut es in der Seele weh, wenn ich die Felder sehe – mit all der Plastikfolie.“ Wenn die Sonne brennt und Wind aufkommt, zerbricht die Folie und fliegt in kleinen und kleinsten Stücken überall hin.


„Die Folienfetzen kommen bei uns aus dem Acker raus – bei uns, wo nie Folie darauf war. Die fliegen überall rum, verfangen sich und bleiben dann irgendwo liegen. Die Folie besteht aus PE , man darf nicht vergessen, der ganze Plastikmüll im Meer, gegen den wir kämpfen, auch das ist PE.“

„Manchmal zweifeln wir schon.“

„Es sind jetzt schon harte Wochen für uns, die ganze Ernte dahin, man fragt sich wie es weiter gehen soll,“ erzählt Christine Rehm. „Manchmal kriege ich auch wirklich die Wut, wenn ich sehe, was die anderen stechen mit ihrer Folie, welche Massen die ernten, egal wie kalt es ist.

Aber ganz ehrlich, der Zweifel, der bestätigt uns immer wieder aufs Neue, dass wir doch das Richtige machen. Es kann nicht Sinn der Sache sein, dass man Spargel in solchen Massen anbaut. Wir möchten als Bauern, als Unternehmer auch noch in den Spiegel schauen können, nicht um uns herum alles zerstören und kaputtmachen. Wir sehen ja überall wohin das führt mit der Überproduktion und der Monokultur in der Landwirtschaft. Wenn wir darüber nachdenken, das bestärkt uns nur noch mehr in unserem Wollen.“

„Man muss überzeugt sein von dem was man macht.“

„Ich schöpfe meine Kraft in dieser schwierigen Situation immer wieder aus der festen Überzeugung, dass wir einfach das Richtige tun. Es wird schon werden. Was wir anbauen, das ist gut. Das essen wir auch selber.“ Josef Rehm ist nun auch dazugekommen. Er lächelt voller Ruhe und Zuversicht und schaut hinaus in die nasse Regenlandschaft. „Wenn die Sonne wieder kommt, durch die Wolken scheint, dann werde ich als erstes denken: Jetzt geht es mal aufwärts. Auf das warten wir – und das kommt auch.“ Er erzählt uns vom allerbesten aller Spargel: „Besonders gut schmeckt der, wenn er von der Sonne – nicht von der wochenlangen Lagerung in Kühlräumen – von der Sonne einen blauen Kopf bekommt. Der schmeckt dann ganz unvergleichlich, weil er eben die Sonne gesehen hat.“

„Unsere Kunden,“ sagt Rehm, „ geben uns Hoffnung. Das gibt uns die Kraft. Die stehen bei uns auf dem Markt und haben ein Präsent dabei. Die haben Tränen in den Augen, wenn die Saison zuende geht. Weil wir dann nicht mehr kommen. Das ist es, was uns in unserem Tun bestätigt. Die eigene Überzeugung und dann: Der einzelne Kunde.“ SJ

Lena Krapiwnikow, YUU Shop, Berlin

„Ich bin nicht so kompromißbereit.“

    Lena Krapiwnikow, YUU Shop, Berlin

„Ich bin nicht so kompromißbereit.“

    Ruhig schaut sie auf, von ihrer Arbeit, irgendeiner wichtigen Kleinigkeit , die sie gerade in ihrem Laden konzentriert verrichtet. Lena Krapiwnikow macht nicht den Eindruck, als würde sie hier auf Kunden warten. Sie wirkt gerade und wer ihr Geschäft betritt, wird bald spüren, das alles hier, im YUU Shop in der Steinstrasse in Berlin Mitte, irgendwann in den letzten 6 Jahren von Krapiwnikow erwirkt wurde. Das Geschäft ist in jedem Detail ihr ganz eigenes Werk, ein direkter Ausdruck ihrer klaren, mit viel Bedacht und einer Tasse grünem Tee ausgeübten Entscheidungskraft.

„Fass das mal an, zieh das mal an“, sagt Lena Krapiwnikow oft zu ihren Kunden – dann ist sie präsent, ihre Leidenschaft, ihre Begeisterung für, wie sie es nennt, „schöne Mode“. Die Idee einen eigenen Laden zu eröffnen, ist für sie aus dieser Leidenschaft hervorgegangen – und aus der Tatsache, dass Stücke ihrer Lieblingsdesigner für sie während des Studiums einfach unerschwinglich waren. „Das hat mich geärgert“, sagt sie sehr langsam.

„Ich vertraue auf meine Fähigkeiten.“

Damals war projektbezogenes Arbeiten als Stylistin oder Kostümbildnerin neben dem Studium für sie in Ordnung, stellte aber keine Perspektive dar, es erschien ihr genauso wenig verlockend wie eine Designerstelle in der Modeindustrie. Ihr wurde klar, dass sie ihre Idee von Mode mit einem festen, in stärkerem Masse selbstbestimmten Ort verbinden wollte. „Also ein Laden!“ Aber wie? Ein Geschäft mit aktuellen Teilen großartiger Designer wie Dries van Noten oder Ann Demeulemeester zu eröffnen, erschien ihr als ein viel zu großes finanzielles Wagnis, gute Secondhand Fashion fand man aber schon überall.

„Irgendwann kam mir die Idee, dass es etwas dazwischen gibt“: Nämlich ihr eigenes Konzept, tolle, neue, ungetragene Teile aus den besten Vorjahreskollektionen einzukaufen und in einem in seiner Form einzigartigen Laden zu nachvollziehbaren Preisen einer besonderen Kundschaft zugänglich zu machen. Akribisch begann sie ihren Plan immer wieder zu durchdenken, rechnete die Sache gründlich für sich durch. Am Ende kam eine Summe heraus, die Krapiwnikow als „durchschnittlichen Tagesumsatz“ in ihrem Geschäft benötigen würde: „Ich hab mir gedacht: Das ist realistisch.“

„Persönlichkeit und Identität. Selber als Mensch für etwas stehen.“

Heute, wenn sie im Laden arbeitet, denkt sie noch manchmal daran, wie wichtig es damals war, mit aller gebotenen Umsicht und Beharrlichkeit eine wirklich richtige und von Anfang an konsequente Entscheidung getroffen zu haben. Zu jeder Zeit und in allen Dingen kann sie nun ihrer eigenen Auffassung folgen. Das ist sehr wertvoll. Sie kann jetzt einfach immer das tun, was für sie das Richtige ist. Und sie hat einen Weg gefunden, mit Mode zu arbeiten, die ihr und auch ihren Kunden wirklich etwas bedeutet: „Bewusstsein, Qualität. In einer guten Hose steckt alles drin. Was ich hier verkaufe, stellt für mich das dar, was mich an Mode interessiert: Selber als Mensch für etwas stehen und Mode nutzen, um diese Haltung zum Ausdruck zu bringen.“


Das Eigene und Individuelle an Lenas Art, ein Geschäft zu betreiben hat den Ort in der Steinstrasse inzwischen vollständig durchdrungen. Kunden kommen manchmal auch vorbei, ohne etwas kaufen zu wollen. Einfach nur, um eine Weile da zu sein. Es herrscht eine ganz unvergleichliche Balance aus Nähe und Distanz. „Meine Kunden kommen wegen des Windes, der hier weht“, sagt Krapiwnikow und lächelt, denn: „das sind auch ganz oft Menschen, die ich mag und wirklich interessant finde. Die haben wie ich einfach Lust auf Gutes. Mode sieht man ihnen gar nicht an.“

„Arbeit oder Familie? Beides!“

Zwei Jahre nach der Eröffnung des YUU Shop wurde Krapiwnikow Mutter einer Tochter. War die Arbeit vorher ihr Lebensmittelpunkt gewesen, so stand nun die Familie noch mehr im Fokus ihrer Aufmerksamkeit. „Jetzt mit Kind hat es sich tatsächlich verändert“, versucht sie zu beschreiben. „Ich arbeite immer noch sehr gerne und mache das auch, wenn ich es mache, sehr leidenschaftlich – aber ich arbeite nicht mehr so viel. „Nächste Woche passt mir der Dienstag, Mittwoch – und der Freitag. Ich bin total glücklich, beides zu haben. Ich freue mich wahnsinnig darauf, hierher kommen zu können und dann, nach der Arbeit, auch wieder nach hause zu gehen. Meine Arbeit bedeutet mir, mich ausleben zu können, zu schauen, zu gestalten, kreativ sein zu dürfen. Was möchte ich heute hier machen? Was wollen die Leute gern haben? Das zu sehen, darauf zu reagieren, das ist es. Und dann kommt jemand rein und freut sich, hier bei mir eine tolle Hose für sich zu finden.“


Ihre Familie war für Krapiwnikow schon immer eine feste Wurzel. Aufgewachsen ist sie als jüngstes von 3 Geschwistern. Ihre Kindheit, ihre Erziehung bezeichnet sie heute als ihre „wichtigste Ressource“. „Die Möglichkeit mich als Kind zu entfalten, mich ganz genau kennen zu lernen, hat mich bis heute geprägt. Ich durfte alles ausprobieren, meine Eltern standen immer hinter mir und dem was ich gemacht habe. Wir sind sehr eng und geben uns gegenseitig Sicherheit“, erzählt sie und beschreibt ihre Kindheit als eine beschützte Zeit in grosser Vielfalt und Freiheit. Auch ihre Zeit auf der Waldorfschule nennt sie heute als Quelle ihres gestalterischen und unternehmerischen Mutes. „Dieses freie Entwickeln, verschiedenste Dinge selber zu versuchen, in der Freizeit immer zu tun, wozu man Lust hat – das hilft unheimlich dabei, sich kennen zu lernen und irgendwann zu wissen: Ich muss mich nicht an den Mustern anderer orientieren. Das bin ich, das will ich.“

„Reich werde ich hier nicht.“

Krapiwnikow lächelt schon wieder. Sie ist glücklich darüber, sich selbst als erfolgreich zu empfinden: „Erfolgreich in dem Sinne, dass ich etwas tue, das mich selbst überzeugt – und auch andere.

Manchmal“, gesteht sie, „muss ich mich ein wenig kneifen, mir immer mal wieder bewußt machen, was für ein tolles Gefühl es ist, zu sehen, was ich hier habe. Wie frei, lustvoll und selbstbestimmt ich mit diesem Geschäft den Lebensunterhalt für meine Familie verdienen kann – und dass ich immer, bei der kleinsten Kleinigkeit sagen kann: Das hier gefällt mir nicht, das ändere ich mal.“ SJ

Helga Voss, Keimzelle Vichel, Vichel

„Die Hände müssen in die Erde.“

    Helga Voss, Keimzelle Vichel, Vichel

„Die Hände müssen in die Erde.“

    Es dauert noch eine Stunde, bis die Glocken läuten. Wir sind in Vichel, einem kleinen verwunschenen Rundlingsdorf im Ruppiner Land, 80 km nordwestlich von Berlin. Eine Stunde, bis die Kirchturmglocken die Mittagspause einläuten. Helga Voß empfängt uns an der Eingangstür eines großen Fachwerkhauses. Seit 2016 bewohnt sie hier eine kleine Einliegerwohnung. Als sie uns hereinbittet, spüren wir sofort eine milde Wärme in ihren Räumen. „Es sind hier immer 20 Grad“ verrät sie uns. „Die Lehmwände machen es möglich.“ Wir fragen uns, ob uns die milde Wärme auch ohne ihre Anwesenheit begegnet wäre.

Helga Voß wird in diesem Jahr 80 Jahre alt. Oder jung. Sie ist eine dieser Frauen, die diese Verbindung von weiser Ruhe und Gelassenheit, gepaart mit wachem Interesse ausstrahlen, die Lust auf das Alter macht. Als wir ihr ein paar Wochen zuvor unweit ihrer Wohnung zum ersten Mal begegnen, steht sie in einem Garten in Vichel, der Keimzelle. Hier erzeugt ein Ex-Berliner „Auswanderer-Paar“ Demeter-zertifiziertes Öko-Saatgut alter Kulturpflanzen; ein Schaugarten zeigt alternative Anbaumethoden. Wir wissen in diesem Moment nicht, wer diese Frau ist, noch wissen wir um ihre Verbindung zu diesem Ort, dem Garten. Greifbar ist einzig: Da ist eine Verbindung. Es ist, als gehöre diese Frau in diesen Garten. Wir sprechen sie an und erfahren, dass „der Garten“ wie eine Art Anker in ihrem Leben ist. Immer war er da. Und sie in ihm.

„Im Garten kriegt man alles unter die Füße.“

Aufgewachsen ist Voß in Thüringen. Das Elternhaus, am Wald gelegen, hat einen Schattengarten. In der Jugend zieht es die Familie nach Ratzeburg in Schleswig Holstein. Der Vater leitet dort das Alumnat. Auch die Zeit ihrer Jugend verbindet sie vor allem mit Erinnerungen an den damaligen Garten. Sie lebt mittlerweile in Bonn, als sie ihren späteren Ehemann kennenlernt. Einen Banker. Als im Rheintal unweit von Bonn ein neues Gebiet erschlossen wird, erwirbt das Ehepaar „eine riesengroße Fläche. Ein wunderschöner Garten mit sieben Pflaumenbäumen.“

Sieben. Diese Zahl, so erzählt uns Helga Voß sichtlich beglückt, „tauche sowieso immer wieder in ihrem Leben auf.“ Es ist zu jener Zeit in Bonn, als sie bemerkt, dass sie sich „von den Anthroposophen angezogen fühlt.“ „Heute“ sagt sie, „bin ich Anthroposophin“. Die Wesensglieder des Menschen entwickeln sich annähernd in Siebenjahresperioden, so sagt es die Lehre Rudolf Steiners. Zunächst führt sie ihr Weg aber als Lehrerin an eine Hauptschule in Köln. Klassische Beamtenlaufbahn. „Doch gleich nach der Schule ging es in den großen Garten bei Bonn“, berichtet sie und man merkt an der Art und Weise, wie sie es tut, welche Bedeutung dieses Ritual für sie hatte. „Ich kam aus dem Garten nach Hause und wusste gar nicht mehr, worüber ich mich geärgert hatte.“ Der Garten ist der Platz, wo alles in Ruhe kommt, das Gleichgewicht wieder hergestellt wird, so scheint es, wenn man ihr zuhört.

„Ich habe immer nach etwas Anderem gesucht. Da war es.“

Nachdem sie diverse anthroposophische Kurse absolviert hat, beginnt sie eine Hospitanz an einer Waldorfschule. Sie lässt die gesicherte Beamtenlaufbahn als Lehrerin hinter sich und absolviert ein einjähriges Studium der Waldorfpädagogik in Witten. Dort ist es eine Kollegin, die ihr von Camphill erzählt, einer heilpädagogischen Bewegung, die auf den Prinzipien der Anthroposophie basiert. Camphills sind Wohngemeinschaften und Schulen, die Erwachsene und Kinder mit Lernbehinderungen Unterstützung im täglichen Leben bieten. Helga Voß findet eine Anstellung in Botton Hill in Südengland, dem seinerzeit ersten Camphill-Zentrum für erwachsene Lernbehinderte.


„Früher war ich schüchtern, später habe ich die Schüchternheit abgelegt und wurde mutig“ sagt sie, als wäre diese Entwicklung selbstverständlich und allein Erklärung genug für diesen Schritt einer Frau, die sich kurz vor ihrer Silberhochzeit „im Guten“ von ihrem Mann trennt und die Heimat verlässt. „In Camphill hat sich dann alles gefügt. Alles was ich wusste, konnte ich dort anwenden.“ „Ich war 49, Sieben mal Sieben, als ich Deutschland verließ“, erzählt sie mit einem Lächeln im Gesicht.

„Besitz bedeutet mir nichts.“

Da sie unter anderem die Schreibmaschine bedienen kann, findet sie ihre erste Aufgabe im Schreibdienst. Ihr wahrer Platz aber ist auch hier der Garten. „Die Hände müssen in die Erde. Das ist meine Aufgabe, glaube ich.“ erinnert sie sich. „Wunderschön“ sei er gewesen, der Garten in Camphill. Es ist eine Beschreibung, die sie für fast jeden Garten verwendet, von dem sie berichtet. Die Art, wie sie dies tut, lässt keinen Zweifel aufkommen, dass jeder dieser Gärten auf eine einzigartige Weise wunderschön ist. In ihrem Empfinden.

Zudem scheint es keinen Unterschied in ihrer Begeisterung zu geben, ob es sich nun um ihren eigenen oder einen fremden Garten handelt. Ihre Einliegerwohnung ist mit Mobiliar ihrer Eltern bestückt, Geschenken und ausrangierten Büchern ihrer Freunde. Helga Voß geht es nicht ums Haben. Es geht ihr um Tun selbst. Immer sucht sie sich selbst Betätigungen, beginnt einfach oder bietet ihre Arbeit an. Am liebsten im Garten.

„Man sieht, was man getan hat.“

Als ihre Mutter erkrankt, kehrt sie nach Ratzeburg zurück. Da ist sie selbst 60. „Ich dachte, es würden die anthroposophischen sieben Jahre.“ Es wurden letztlich acht Jahre, bis die Mutter verstarb. Während dieser Zeit arbeitet sie viel im Schrebergarten der Mutter. „Der Garten ist ein Ort der Erdung“, beschreibt sie es zunächst fast pragmatisch. Um nach einem kurzen Moment der Innenschau fast ungläubig und leiser anzufügen: „Ich nehme an, dass es mein Schicksal ist. Denn ich weiß Sachen, die habe ich nirgends gelesen, nirgends gehört. Ich weiß, das ist die Pflanze und die muss ich so behandeln. Das ist manchmal erschreckend.“

Ihre heutige Wohnung in Vichel findet sie – kaum zu glauben – auf der Suche nach einem Garten. Eine Freundin erzählt ihr vom Gemeinschaftshaus Schloss Vichel, ein Ort gelebter Inklusion auf anthroposophischer Grundlage. Eigentlich will sie hier eine Bleibe finden, aber das erweist sich als nicht passend. Dann hört sie, „dass da hinten zwei Gärtner in ihrem Garten sind.“ Sie macht sich auf den Weg zu den Gärten und kommt unterwegs an einem Haus vorbei, welches zu dieser Zeit in Eigenregie restauriert wird. Der Bauherr fragt sie, was sie denn hier suche. „Eine Wohnung“ erwidert Voß. „Die habe ich“, lautet die Antwort.


Am gleichen Tag einigt man sich per Handschlag. „Ich dachte, das ist es“, erinnert sie sich. Als sie ein paar Tage zur Probe in ihrer heutigen Bleibe wohnt, begegnet sie zum ersten Mal Eve Bubenik und Winnie Brand, den Besitzern der „Keimzelle“. In dem Garten, den sie eigentlich suchte und stattdessen eine Wohnung fand. „Kann ich hier was tun?“ fragt sie die Beiden, die sich in Vichel vor Jahren mit einem Bauwagen niederließen und heute Öko-Saatgut produzieren. Sie kann. Und sie darf wiederkommen. Seither arbeitet Voß im Garten von und mit Eve Bubenik und Winnie Brand. Freiwillig. Sie erhält dafür das ganze Jahr über Gemüse aus dem Anbau. „Die wissen um das Anthroposophische. Automatisch, aus dem Bauch heraus. Die müssen das nicht über den Kopf verstehen.“ erklärt sie ihr Gefühl von Gemeinschaft, das sie mit Eve Bubenik und Winnie Brand verbindet.

„Arbeite, aber arbeite immer maßvoll.“

Mittlerweile haben die Kirchturmglocken geläutet. Eigentlich Zeit für die Mittagspause: Helga Voß macht für uns eine Ausnahme. Regelmäßige Zyklen sind ihr sehr wichtig. „Um 12, da soll man sich um sein Essen kümmern. Um 6 soll man aufhören.“ Das hat sie während ihrer Zeit in Camphill gelernt und verinnerlicht. Von 9 bis 12 Uhr arbeitet sie im Garten. Nach anderthalb Stunden macht sie eine Pause. Mittags für gewöhnlich einen Mittagsschlaf. An sieben Tagen in der Woche. Wenn sie nicht im Garten ist, arbeitet sie am Computer. Übersetzungen ins Englische und Französische. Aufträge aus ihrem Anthroposophen-Netzwerk. Auf keinen Fall will sie von Anderen abhängig sein.


Was gibt ihr die Arbeit im Garten, fragen wir sie. „Zufriedenheit. Ruhe. Freude.“ So lautet ihre Antwort. Es sind Worte, die das tragen, was wir sogleich wahrgenommen haben, als wir ihr begegneten. Und wenn sie nicht mehr in den Garten könne? „Dann ginge ich ein wie ein Primelpöttchen.“ antwortet sie, ohne zu überlegen. Auch die Art und Weise der Arbeit im Garten unterliegt für Helga Voß klaren Prinzipien. „Man muss im Garten in Stille sein.“ Sie könne „nicht plappern mit jemandem.“ Es gehe „darum, zügig voran zu kommen.“ Und auch dann komme „etwas zurück, aus dem Garten. Das Lebendige, das Ätherische ist das Besondere im Garten.“

„Es sollte so sein. Es ist meine Bestimmung.“

Das Ätherische. Das liegt auch als Duft in ihrem Badezimmer. „Le jardin sur la nel. Der Garten über dem Nil. So heißt das Parfüm.“ erklärt uns Helga Voß. Sie liebt das Parfüm, welches sie von einer Freundin geschenkt bekam. „Der Garten, das ist mein Leben“ sagt sie uns am Ende unseres Gesprächs. Dabei strahlt sie tiefe Ruhe und ein inneres Wissen aus. So mag es sich vielleicht anfühlen, wenn jemand seine Berufung gefunden hat und diese auch bejaht. Als wir gehen, zeigt sie uns noch ein Bild, das ihr eine Freundin aus Camphill geschenkt hat. „Sie sagte, es hat mich sofort an dich erinnert, Helga.“ Es heißt „Primavera“. Der Frühling. „Ich bin ein Frühlingsmensch“, fügt sie an. Das Bild zeigt eine Frau in einem Kornfeld. Eine Person, scheinbar in ihrem natürlichen Element.

Am 12. April feiert Helga Voß ihren 80. Geburtstag. Man möchte diesen Tag gerne mit ihr zelebrieren, der innerlich und äußerlich Junggebliebenen. Und mit ihr mit den Händen in die Erde. Um vielleicht auch ein wenig dieser Magie zu spüren. „Man kann das gar nicht fassen. Man bleibt innerlich so jung. Durch die Arbeit im Garten und die Ernährung. Ich sage immer, das Schönste wäre, im Garten umzufallen. Klatsch. Das wars.“

Text: Lars von Hugo

Claudia Schoemig, Schoemig Porzellan, Berlin

„Gefäße, als wären sie von selbst gewachsen“

    Claudia Schoemig, Schoemig Porzellan, Berlin

„Gefäße, als wären sie von selbst gewachsen“

    Geräuschvoll und dynamisch wird der Rollladen hochgezogen. Mit einem einnehmenden Lächeln begrüßt uns Claudia Schoemig mit ihrem Hund Mathilda an der Ladentür. Wir sind in der Raumerstraße in Prenzlauer Berg und besuchen die Keramikerin in ihrem Berliner Ladenatelier.

„In blassblauem Neon leuchtet uns beim Betreten des Ladens der Schriftzug „Porzellan“ entgegen. Unter der überdimensionalen Neonschrift stehen Gefäße und Teller in Reih und Glied. Gegenüber ist ein kleiner Arbeitsplatz eingerichtet, an dem weitere Objekte zum Trocknen aufgestellt sind und natürlich auch Mathildas Hundekorb Platz findet. Seit 2013 entwirft, produziert und verkauft die Keramikerin und Bildende Künstlerin hier vor Ort ihre zarten, puristischen Objekte. Von Vasen, Bechern, Tassen und Schalen bis hin zu Tellern reicht das Sortiment aus den Serien „Contrair Vasen“, „Graph Kollektion“ und „Sublim Becher“.

„Porzellan erinnert an Schnee oder die Textur von Papier“

Auch nach Jahren ist Claudia Schoemig noch fasziniert von ihrem Werkstoff: „Porzellan erinnert an Schnee oder die Textur von Papier“, schwärmt die Fränkin, die seit 1998 in Berlin lebt. Ihr Herz schlägt für Porzellan seit sie 17 war. Damals entdeckte Schoemig erstmals handgedrehte Gefäße in einem Laden. Sie kaufte zwei davon und wusste: „Das will ich machen“.

Nach einer Ausbildung zur Keramikerin betrieb Claudia Schoemig für vier Jahre eine eigene Werkstatt in Schonungen am Main und ging dann für ein Kunststudium nach Berlin. Während und nach ihrem Studium an der Kunsthochschule Weißensee arbeitete sie freiberuflich für viele renommierte Keramik- und Porzellanwerkstätten. 2011 gründete sie dann Schoemig Porzellan.

„Jeder Fehler ist mir lehrreich“

Dass Claudia Schoemigs Gefäße etwas Besonderes sind, merkt man sofort. Man möchte sie anfassen und am liebsten auch gleich alle mit nach Hause nehmen. Was der Laie eventuell nicht auf Anhieb sieht: Die Werkstücke sind im mittlerweile immer seltener angewandten Freidrehverfahren gefertigt. So gleicht kein Gefäß ganz dem anderen und jedes trägt als Unikat die spezifische Handschrift seines Produzenten. Um sein Handwerk so gekonnt zu beherrschen, wie Schoemig es tut, braucht man einen langen Atem und unzählige Stunden an der Drehscheibe.


„Man braucht sehr viel Erfahrung. Ich mache das jetzt schon über 15 Jahre. Auf dem Weg zur Perfektion macht man viele Fehler. „Jeder davon ist mir lehrreich“, so die Keramik-Künstlerin.

„Dialog mit dem Material“

Sie schätzt „den Dialog mit dem Material“, wie sie die Handarbeit nennt. „Heute arbeiten nicht mehr viele Menschen mit ihren Händen. Für mich fühlt sich das ganz natürlich an, ich mache das schon so lange.“ Sie mag das serielle Arbeiten, bei dem sie sich dem Arbeitsfluss hingeben kann, alle Handgriffe werden von einem bestimmten Zeitpunkt an fast wie automatisiert ausgeführt, man denkt nicht mehr bewußt darüber nach, was man tut, sondern erspürt es mit seinem Körper. „So entstehen Gefäße, als wären sie von selbst gewachsen.“


Gerade arbeitet Schoemig gemeinsam mit ihren Mitarbeitern an einer Becherkollektion für Mykita, ein Berliner Brillenlabel. „Es ist toll eine solch große Serie zu erarbeiten. Über 1000 Becher gehen seit Wochen durch unsere Hände. Es ist, als würde alles von selbst laufen. Man kennt jeden Arbeitsschritt ganz genau. Das ist Monotonie im positiven Sinn.“ Was in Schoemigs Beschreibung anschaulich wird, ist die Nähe des handwerklichen Arbeitens zur Meditation. Dass die Keramikerin vollkommen in sich ruht und für ihre Arbeit brennt, steht Schoemig ins Gesicht geschrieben und drückt sich in ihrer kompletten Körpersprache aus.

„Gute Arbeit bedeutet Hingabe an das, was man tut“

Was zeichnet gute Arbeit für die Designerin aus? Über die Antwort muss sie kurz nachdenken, denn bei ihr fließen Arbeit, Leben und Leidenschaft für das Handwerk in eins. „Gute Arbeit bedeutet Hingabe an das, was man tut“, erläutert Schoemig. Die Keramik beschreibt sie als berufliche Liebe und ihre Werkstatt als ihren Hafen, wo sie auch in ihrer Freizeit gerne hinkommt, um nachzudenken. Dass sich diese Haltung in der Qualität ihrer Produkte niederschlägt, belegt die Kür der Zeitschrift AD Architectual Digest. Sie hat Claudia Schoemig kürzlich unter die Top 50 der besten deutschen Designer gewählt. Doch nicht nur ihr künstlerisches Talent ist bemerkenswert. Als Chefin ihres Teams achtet sie auf ein gutes Arbeitsklima. Eine faire Bezahlung und ein schöner Arbeitsplatz sind ihr genauso wichtig wie nachhaltige Produktionsbedingungen. „Ich versuche mit meinem Betrieb organisch zu wachsen. Dazu gehört es immer wieder die wirtschaftlichen Abläufe zu überprüfen und zu verbessern. Man muss Verantwortung übernehmen und darauf Acht geben, dass alles auf soliden Füßen steht.“

Und wo will die Unternehmerin in zehn Jahren angelangt sein? Für die Zukunft wünscht sie sich vor allem eines: Noch mehr Freiraum für Experimente. Deshalb investiert sie in den Nachwuchs. Seit 2015 bildet Schoemig Porzellan als eine der wenigen deutschen Werkstätten im Keramikerhandwerk aus. „Ich möchte einen Ort schaffen, an dem das Handwerk lebendig bleibt und weiterentwickelt werden kann.“ Wir freuen uns auf neue Kollektionen!

Text: Sabrina Schleicher

PD Dr. Jens Soentgen, Wissenschaftszentrum Umwelt, Augsburg

„Wir müssen uns einschränken.“

    PD Dr. Jens Soentgen, Wissenschaftszentrum Umwelt, Augsburg

„Wir müssen uns einschränken.“

    „Naturwissenschaft macht glücklich“, schreibt Jens Soentgen in seinem 2010 erschienen Buch Von den Sternen bis zum Tau, Eine Entdeckungsreise durch die Natur.“ Er reist dabei „quer durch“, vom Makrokosmos bis zum Mikrokosmos. An der Universität Augsburg leitet er das Wissenschaftszentrum Umwelt und betreibt seine anwendungsbezogenen Forschungen auch hier „quer durch“, nämlich am liebsten durch alle Disziplinen. Wir treffen Jens Soentgen in seinem Büro im INNOCUBE der Augsburger Universität.

GA: Herr Dr. Soentgen, Sie leiten das Wissenschaftszentrum Umwelt hier in Augsburg. Was genau machen Sie? Was ist Ihre Arbeit?

Wir betreiben Umweltforschung und zwar disziplinübergreifend, also nicht nur aus naturwissenschaftlicher Perspektive, sondern möglichst Umweltforschung, bei der ein Naturwissenschaftler mit einem Philosophen zusammenarbeitet, oder mit einer Sozialwissenschaftlerin, ein Atmosphärenphysiker mit einer Ethnologin oder einem Historiker. Wir arbeiten daran, so eine Art von Forschung hier zu initiieren, zu fördern und zu verwirklichen, weil sich Umwelt nicht nur aus einer einzigen Perspektive verstehen lässt.

Wir wollen aber nicht nur im wissenschaftlichen Kontext forschen, sondern ausserdem damit ganz konkret etwas bewirken. Wir arbeiten sehr eng mit anderen Institutionen wie z.B. dem Deutschen Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit in München zusammen, um eben einen direkten gesundheitlichen Nutzen für die Gesellschaft aus unserer Forschung heraus zu entwickeln. Dafür brauchen wir die Kraft aller Disziplinen.

GA: In Ihnen selbst tobt ja auch die Kraft aus mindestens zwei sehr verschiedenen Disziplinen. Wie kam es zu Ihrer sehr besonderen Positionierung?

Richtig, genau. Ich habe Politik und Philosophie studiert, ausserdem eben Chemie, in Chemie auch Staatsexamen gemacht und in Philosophie dann promoviert. Das ist eine nicht so häufige, aber für mich sehr schöne Kombination. Wenn ich mich mit Natur und Umwelt beschäftigen möchte, muss ich naturwissenschaftlich schon kompetent sein, ich muss hier heute auch naturwissenschaftliche Forschung einschätzen und leiten können, aber aus meiner Sicht reicht das eben nicht. Wir müssen uns auch fragen, was ist denn Natur eigentlich für uns? Was ist das für ein Begriff? Wir müssen lernen, daß das auch eine Konstruktion ist, da sind dann eher geisteswissenschaftliche Kompetenzen gefragt. Wir haben damit umzugehen, dass Menschen sich unter dem Begriff Natur ganz unterschiedliche Dinge vorstellen, ganz verschiedene Ideen im Kopf haben. Für manche ist nur eine völlig unberührte Natur eine gute Natur. Da benötigen wir schon die Fähigkeiten der Geisteswissenschaftler, um solche Konzepte kritisieren zu können – damit wir endlich wirklich Fortschritte machen.

GA: Sie haben mit einer Arbeit zur Phänomenologie des Unscheinbaren promoviert, sich in Ihrer Forschung sehr viel mit Staub beschäftigt. Was lässt sich darin erkennen?

Staub ist eigentlich Zeugnis der Schönheit unserer Welt. Alles staubt. Die Natur staubt. Die Bäume jetzt im Frühjahr produzieren Staub. Das Meer staubt. Es wirft Salzkristalle in die Luft. Staub lehrt uns, die Dinge in einem grösseren Zusammenhang zu betrachten. Wenn in der Sahara Staub aufgewirbelt wird, finden wir den gerade im Mai hier bei uns in Süddeutschland in unseren Filtern.

Es ist sehr feiner Staub, aber nicht so fein wie der, den wir Menschen in die Umwelt abgeben. Das ist der Staub mit dem wir uns hauptsächlich beschäftigen, weil der gesundheitlich relevant ist. Wir sammeln Staub an Menschenplätzen, in den Städten. Menschenplätze, das sind immer Feuerplätze. Wo wir leben, stammt der Staub zum allergrössten Teil aus Verbrennungsprozessen. Fast alles, was wir tun ist mit Verbrennungsprozessen gekoppelt.

GA: Man kann das so genau unterscheiden? Natürlicher Staub ist anders als von Menschen produzierter Staub?

Ganz genau. Das Zeichen des Menschen ist das Feuer. Wenn wir in den Städten messen, sind die Filter grau. Das sind die Rußpartikel der menschlichen Feuer. Wenn wir die Heizung anwerfen, sobald wir mit dem Auto fahren, den Zündschlüssel umdrehen, immer setzen wir irgendwo ein Feuer in Gang. Diese Feuer sind meist verkapselt, man sieht sie nicht mehr. Wenn wir unser Smartphone einschalten, brennt das Feuer sogar in weiter Entfernung, in einem Kraftwerk, es erzeugt die Energie, die wir zum Telefonieren benötigen. Ganz abgesehen von den Bauteilen unserer Telefone, die alle synthetisch sind. Kunststoffe, Metalle, Glas – alles stellen wir durch Feuer her. Wir benötigen Temperaturen von 1400 Grad Celsius und mehr. Diese Feuer, die unseren hochtechnisierten Lebensstil ermöglichen, brennen auch wenn wir das nicht mehr wahrnehmen – in unseren Filtern werden sie offenbar.

Wir sind immer noch die alten Feuermacher, nur auf einem technisch erheblich erweiterten Niveau. Wir glauben, alles sei sauber, aber in diesem Staub, diesem Dreck auf unseren Filtern sieht man: Hier brennt es überall.

GA: Machen wir also viel zu viel Feuer?

Ja, wir müssten deutlich vernünftiger mit unseren Brennstoffen umgehen und auch mit den Feuern, die wir entfachen, denn das was wir hier sehen, in unserem Staub, das sind ja noch Festkörper, das ist Ruß, eigentlich ein Zeichen für eine unvollkommene Verbrennung. Das wirkliche Endprodukt jeder vollkommenen Verbrennung ist CO2, ja, Kohlendioxid – und wie jeder weiß, steigt der CO2 Gehalt in der Luft, und zwar stetig. Es sind gewaltige Mengen, die die Menschheit der Atmosphäre zufügt. CO2 ist die Asche aller Feuer und das zeigt: Wir brennen in einem nie dagewesenen Ausmaß.

GA: Wenn wir Menschen unsere Feuer auch als Ausdruck unserer Geisteskraft, unserer Leidenschaft, unseres Hungers und unserer Gier ansehen, als Sinnbild unseres Eifers auf dem Weg zum Fortschritt, müssen wir das auch so verstehen, oder verstehen Sie das so, dass wir Menschen diese Feuer dann maßvoller einsetzen müssen? Oder müssen wir nur anders verbrennen?

Ich glaube niemand kann etwas gegen unsere sogenannten inneren Feuer hervorbringen, unser Glühen für neue und bessere Ideen. Im Gegenteil. Davon brauchen wir viel mehr, wenn wir neue Wege gehen wollen.

Wir brauchen viel mehr Leidenschaft, insbesondere für Natur und Umwelt und für erheblich verbesserte Beziehungen zu allen anderen, nicht menschlichen Geschöpfen. Gegen solches Feuer würde ich mich niemals wenden, sondern ich glaube, daß das etwas ganz Wertvolles und Wesentliches für uns Menschen ist.

Es ist mehr dieses gedankenlose Verbrennen von Dingen, die teilweise Millionen von Jahren benötigten, um zu entstehen, um dann von uns in wenigen Monaten geradezu abgefackelt zu werden. Erdöl, fossile Brennstoffe, wie Steinkohle, Braunkohle, Erdgas. Das ist es, wogegen ich kämpfe, weil die direkten und indirekten Folgen dieser gewaltigen Verbrennungsprozesse uns alle jetzt schon treffen, sei es durch den Klimawandel, sei es durch die Schädigung unserer Luft, unseres Lebensraumes.

Da müssen wir an die Ursachen der Probleme, anstatt immer nur die Symptome zu behandeln. Da müssen wir unseren Lebensstil anpassen, vernünftiger und auch – in der Tat – etwas bescheidener gestalten. Wir müssen uns einschränken. Jetzt schon. Ab sofort.

GA: Welchen Rat können Sie aus wissenschaftlicher Sicht unserer Gesellschaft oder auch jedem Einzelnen in Bezug auf eine sinnvolle Veränderung unseres Lebensstils geben?

Jeder Einzelne ist wichtig und alles fängt im Kleinen an. Jeder sollte versuchen, sein Bewusstsein, seine Umweltwahrnehmung zu entwickeln, zu schärfen. Das geht auch ganz einfach. Mal wieder die Schuhe ausziehen, Kontakt zur Natur aufnehmen. Naturkontakt ist grundsätzlich wohltuend und gesund, man kommt dabei auch mit sich selbst in Verbindung und entwickelt eine gewisse Aufmerksamkeit, eben ein Bewusstsein für den eigenen Lebensraum. Das ist der Grundstein für die notwendige positive Veränderung, auch wenn wir das langfristig sehen und vielleicht über Generationen hinweg wieder-erlernen und weiterentwickeln müssen.

Es tut also nicht nur der Gemeinschaft, sondern auch jedem Einzelnen gut, seine Haltung, seinen Konsum zu überdenken und zu beeinflussen, aber das wird nicht reichen. Ethischer Konsum ist nicht die Lösung unserer Umweltprobleme, das ist zu kurz gegriffen.

Wir brauchen ebenso entschlossene Politik. Ganz konkrete, konsequente Maßnahmen, Gesetze und Zielvereinbarungen, die strukturelle Veränderung bewirken. Auch dafür kann jeder Einzelne kämpfen, jedes Unternehmen, jede Institution.

Wir tun das auch. Wir nehmen unsere Ergebnisse und tragen sie in die Politik. Unsere Studien liegen dann politischen Entscheidungsprozessen zugrunde. Wir beraten z. B. das Bayerische Landesamt für Umwelt, wir sind eine unabhängige Informationsquelle für Journalisten, wir publizieren. Wir forschen, aber wir sprechen auch und das ist wichtig.

Wir als Menschen, als gesamte Gesellschaft, müssen politisch sein, ganz klar das Feuer entfachen, mit grosser Leidenschaft innovativ zu sein, kluge Ideen zu entwickeln, die ausgetretenen Pfade zu verlassen und uns gemeinsam auf einen besseren, nachhaltigeren Weg zu begeben.